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About
Geboren wurde ich in Novosibirsk (Russland) im Jahre 1963. Meine Mutter unterrichtete Literatur, mein Vater war Ingenieur. Wir lebten zu fünft in einer kleinen Wohnung mit drei Zimmern; meine Großmutter, mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und ich. Meine Großmutter hatte diese Wohnung während Chruschtschows sogenannten „Tauwetters" bekommen, als sie schon Witwe geworden war, nachdem mein Großvater repressiert und erschossen wurde. Eines Tages, schon mit 18 Jahren, fand ich in einer Kiste für unsere Familienunterlagen zwei alte Zettel: in einem stand geschrieben, dass der Ehemann meiner Großmutter postum rehabilitiert wurde und im zweiten, dass meine Großmutter miteinbezogen war in die Liste der Familien Rehabilitierter, die ein Zuhause bekommen sollten.
Ich bin eines Tages eine Straße entlang gegangen und habe Läden gesehen für Veteranen des zweiten Weltkrieges und dachte mir, dass es Läden für die Opfer der Repression sehr wahrscheinlich niemals geben wird.
Mein Bruder und ich lebten zu zweit in einem kleinen Zimmer mit zwei Betten. Doch so wie meine Eltern den ganzen Tag bei der Arbeit verbracht haben und mein Bruder schon zur Schule ging, habe ich nie eine Enge verspürt. Ich war dann mit meiner Großmutter, die mich liebte, alleine zuhause und wir gingen beide unseren eigenen Beschäftigungen nach. Manchmal unterhielten wir uns auch. Abends versammelten sich alle nach der Arbeit in der Küche und aßen und schauten danach Fernsehen im Wohnzimmer: zu der Zeit wurden nur zwei staatliche Sender ausgestrahlt. Und nach den einseitigen und langweiligen Nachrichten wurde dort für gewöhnlich ein Film gezeigt – fast immer entweder zu einem militärischen oder industriellen Thema. Auch das war langweilig, aber die Atmosphäre familiärer Wärme – die ist auf unbewusster Ebene im Gedächtnis geblieben: ich war der Kleinste und zu der Zeit als Großmutter noch lebte, spürte ich auf mir die Beachtung, von welcher ich mehr bekam als mein älterer Bruder, auf den bereits die elterliche Erziehung gefallen war, begründet auf ausgeprägter Disziplin: er ging zur Schule und nach dem Unterricht hatte er die Musikschule für Akkordeon – Stunden zu besuchen.
Er spielte nicht bereitwillig und führte die häuslichen Übungen wie eine routinierte Pflicht aus. Doch er spielte gut. Mein armer Bruder! Zusätzlich musste er auch noch am Leistungsschwimm – Unterricht teilnehmen – das hatte ihm mehr gefallen: im Schwimmbad gab es keine beständige elterliche Aufsicht.
Mein Bruder und ich hatten früh schlafen zu gehen, doch nachdem unsere Eltern uns das Licht ausmachten, erzählte er mir im Dunkeln allerlei Geschichten, und ich hörte ihm zu.
Aus dem Wohnzimmer, wo der gewöhnliche TV-
Eines Tages verstarb Großmutter: als sie starb hörte ich alles, was im Wohnzimmer geschah. Der Bruder meiner Mutter war gekommen. Mich hat man zum Abschied nicht ins Wohnzimmer gelassen, vielleicht um mich nicht zu betrüben. Ich saß am Sekretär, wo mein Bruder sonst Hausaufgaben machte und malte etwas auf DIN A4-
Von da an schlief mein Bruder im großen Zimmer und nur seine Sachen wurden weiterhin in meinem aufbewahrt.
… Einmal bin ich krank geworden und lag lange im Krankenhaus, und als meine Mutter mich besuchte sagte sie lächelnd, dass sie mit Vater zusammen ein Geschenk gekauft hätten und dass es weder ein Fahrrad noch ein Spielzeug war – nein, nein. Ich schaffte es nicht zu erraten, was es war und quälte mich eine ganze Woche lang mit Raten und Grübeln und als man mich aus dem Krankenhaus wieder abgeholt hatte, fand ich zuhause ein unheimlich schönes Pianoforte vor, ein Zimmermann. Es roch nach Naphthalin, war unfassbar teuer – tausend Rubel – und war neben dem Geschirrschrank, dem Esstisch und den Bücherregalen der vierte polierte Gegenstand in der Wohnung. Ich kann mir noch immer nicht erklären, wie diese Reihe an Zimmermann-
Und die fehlerhafteste Überlegung, die Eltern tragen könnten, ist, dass es ausreichen würde, ihrem in die Musik einsteigenden Kind vorläufig ein billiges Instrument anzuschaffen, um später auf ein gutes und teures umzusteigen, falls das Kind sich beweisen sollte: ein schlechter Klang langweilt ein Kind ungemein und es verliert direkt das erste Interesse an Musik. Jedenfalls waren diese Instrumente dort eine deutsche Rarität und so etwas ist in der folgenden Geschichte Novosibirsks nicht mehr vorgekommen. Ich hatte also unbeschreibliches Glück denn meine Eltern wussten gar nicht, womit sie mich da beschenkt hatten.
Dieses Gefühl, wenn du dich das allererste Mal ans Klavier setzt, den Deckel aufmachst und die weißen und schwarzen Tasten siehst, und du einige Zeit hast, um dich dessen zu vergegenwärtigen bevor du diese Tasten anschlagen wirst – und du weißt nie, welche du gleich zuerst betätigen wirst -
… Ich spielte einige Töne das Pedal runterdrückend und dann einige Töne gleichzeitig, vollkommen zufällig und in unterschiedlichen Registern, unvorhergesehen erfühlend, dass jegliche Kombination an Tönen schön sein wird ebenso wie auch das Klavier selbst nicht anders als schön sein kann. Und ebenso erinnere ich mich, dass, als ich viel später das erste Mal eine chromatische Tonleiter gespielt habe, sie auch wunderbar klang und hörbar war, wie immanente Harmonien ineinander überfließend sich hinter jeder Note verstecken und es ist unmöglich sie alle gleichzeitig zu erfassen, auch wenn sie sich auf intuitivem Wege alle klar und tiefgehend erraten lassen. Wenn ich nur gewusst hätte, dass mich bis zum Verständnis der Quintenschritt-
Ich habe oft gesehen, wie Kinder, wenn sie das erste Mal an ein Instrument treten, einige Noten spielen, sich erschrecken und verdutzt zu ihren Eltern anschauen: „Was soll ich denn spielen?". Ich denke dieser Moment ist entscheidend und oft tragisch fehlerbehaftet: an diesem Punkt stellen viele Lehrer nach solch einer Frage vor diesen kleinen Menschen ein Blatt mit Noten hin und von diesem Moment an verliert er die Fähigkeit, die ihm nötigen Töne zu hören, auszusuchen, zu vergleichen, zusammenzustellen, so zu komponieren und dem Instrument zu vertrauen. Solch eine Initiative verlierend vertraut er nun den Noten und nicht seinen Ohren. Und von diesem Moment an hört die Suche nach Harmonie und die Gehörbildung auf.
Mit den Jahren habe ich verstanden, dass jedwedes Diktieren, jedweder Zwang und vielleicht sogar selbst die Disziplin, soweit nicht ausgerichtet auf die eigenständige Suche sondern auf das Befolgen gegebener Noten, in dem Kind Gehör und Fähigkeit tötet. Doch zum Glück habe ich mir diese Frage -
Bis jetzt weiß ich nicht; spiele ich auf dem Klavier oder es mit mir? Ein großes Glück, dass man mich vorerst für zwei drei Monate alleine mit dem Klavier gelassen hatte. Es gab keinen einzigen Tag an dem ich mich nicht an das geliebte Klavier gesetzt habe. Und mich so daran gewöhnend, dass das Klavier und ich ohne Mittelspersonen auskommen können und Gefallen am selbstständigen Musizieren findend, entwickelte ich sehr wahrscheinlich deshalb die Fähigkeit zum eigenständigen und initiativen Ersuchen. Erst nach einiger Zeit luden meine Eltern einen Klavierlehrer ins Haus ein – vielleicht hat die Tatsache, dass die Noten sich nicht direkt zwischen mir und dem Pianoforte aufgebaut hatten, die Glück bringende Rolle in meinem musikalischen Leben gespielt.
Zur Frage wieso mein Bruder, der sehr musikalisch war, gezwungenermaßen und unwillig übte und wieso mir das spielen Freude bereitete:
Die soziologische Erklärung zu jenem Phänomen, wenn bei ein und denselben Eltern ein Kind zum Beispiel mehr Neigung zu Technik oder Sport vorweist und das andere mehr an dem Erklimmen der Kunst oder humanitären Fragestellungen interessiert ist, mag hier folgende sein:
In meinem Fall klärte sich dieses Paradoxon sehr leicht auf: meine Eltern erzogen meinen Bruder in der Epoche des Stalinismus, als Fragen des Seins, der Philosophie, Ethik und Ästhetik außerordentlich unpopulär waren und es sogar einfach nur gefährlich war, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich hingegen erblickte das Licht der Welt zur Zeit von Chruschtschows „Tauwetter", als intensive Diskussionen zu Kultur gefordert waren und die Disziplinen der Kunst und die Mode blühten: Mode von Kleidung, von Musik, von modernen Inneneinrichtungen, Torchères und Sofas im 50er Jahre Stil der Moderne, Regale und andere Möbel, die geometrische Formen nachahmten – alles das wurde offensichtlich kopiert und übernommen von der westlichen Epoche der Moderne. Die relative Meinungsfreiheit initiierte eine ebenso relative Blüte der Literatur (es wurde z.B. in, in Zügen zu lesen). Davon blieben auch meine Eltern nicht unberührt und auf ganz natürliche Weise setzte sich dies in meinem Weltbild ab. Und noch etwas: ich hatte nie etwas Eigenes besessen; ich trug immer das aus, was meinem Bruder gehört hatte und spielte mit Spielzeugen, die zuvor ursprünglich meinem Bruder gekauft wurden und alles das gehörte nach dem „Recht des Älteren" in erster Linie ihm. Das Pianoforte allerdings, das war hingegen etwas, das ausschließlich mir gehörte. Es war in der Tat ein freizügiges Geschenk, aber vor allem ein tatsächliches Geschenk. Niemand zwang mich ungefragt mit Phrasen wie „Morgen wirst du in die Musikschule gehen.", wie sie bei der Mehrheit sowjetischer Kinder sonst ausgesprochen wurden. Mir hat man die Musik einfach geschenkt und nicht aufgebunden. Eine neugierige Pädagogik, nicht wahr? Und mit meiner ersten Lehrerin, die meine Eltern zum Üben mit mir eingeladen haben, hatte ich umso mehr Glück.
Ich will erzählen, warum.
Es existieren zwei Extremfälle, welche das Interesse zur Musik auslöschen. Den ersten habe ich schon umschrieben – der wäre wenn Disziplin und Zwang die Liebe zu jener, zu eigenständigen Entscheidungen ersticken. Der zweite ist, wenn anstatt ins Wesen der Musik einzutauchen, nur oberflächlicher Unterricht, quasi nur mit Spaß, dem Kind zuteil wird, , die Bekanntmachung mit der Quintessenz des musikalischen Phänomens verzögernd und diese mit oberflächlichem Kennenlernen eintauschend: wie wenn du anstatt ein Schloss zu betreten, um dieses drum rum wandern würdest. Die Kinder, die direkt auf der Musikschule gelandet waren, durchliefen einen sogenannten vorbereitenden Einführungskurs, wo sie schief Kinderlieder gesungen, in die Hände geklatscht und das ganze Jahr über sieben Töne und deren Länge erlernt haben. Mit meiner Musiklehrerin, die zu mir ins Haus kam, hatten wir das nach wenigen Wochen hinter uns, und ich beschäftigte mich zwei Jahre vor der Musikschule unmittelbar mit der Musik selbst. Und als sie mir eine Musikschule empfahl, war ich um vieles besser vorbereitet: so ist es gekommen, dass bei mir in Folge eigenständiger Erfahrung auch eigenständige Fragen aufgekommen waren, auf die ich dann Antwort bei meinen Lehrern bekam – der Lehrer antwortete auf meine Fragen, meine Neugier stillend, und bot nicht eigene Fragestellungen an. Deshalb habe ich in der Musikschule nie die Atmosphäre des Geprüft-
Und es gab noch einen dritten Faktor, der sich aus der mir gegebenen Initiative und musikalischen Suche ergab: meine Musiklehrer liebten mich für meinen Hang zur Initiative. Auch das war ein wichtiger Stimulus, denn: nach dem Tod meiner Großmutter, die weise war und noch die Traditionen der alten und vorsozialistischen Epoche verkörperte, verschwand die Atmosphäre des Verständnisses und der Liebe aus meiner Familie, lediglich Nötigung, unbegründetes Misstrauen und sinnfreien Kontrollzwang hinterlassend – unseren Eltern schien es, dass sie mit Strafen und Disziplin unser alltägliches Dasein kontrollieren könnten. Vater und Mutter arbeiteten und abends hatten sie keine Zeit mehr, sich mit uns zu unterhalten. Sie kontrollierten nur die Hausaufgaben und gaben den Kindern neue Aufgaben: man kann sie verstehen, sie wollten auch mal für sich leben und für ein wohlwollendes Gespräch war da nun mal nicht immer Zeit. Ich würde sagen, dass sie zwar nicht böse auf uns waren, aber der Erhalt einer warmen Atmosphäre war nicht der zentrale Sinn ihres Lebens. Unter diesen Bedingungen wurden die Musik und die Warmherzigkeit meiner Musiklehrer eine Alternative zur alltäglichen Nötigung, Kontrolle und Routine.
Die Frage betreffend, womit man die musikalische Schulung beginnen soll, so finde ich ausgehend von meiner Erfahrung als Schüler und Pädagoge, dass man bei der Quintessenz der musikalischen Frage anfangen muss, bei ihrem Kern, und diesen klar und unkompliziert festhaltend, nach und nach das gegebene Material erschweren und ausbauen. In keinem Fall aber sich umgekehrt dem Kern als letztes über Details annähern aus Vorsicht, dieser könnte dem Schüler zu kompliziert vorkommen. Allem voran gibt es keine solche Theorie, die sich nicht mit einfachen Worten erklären ließe, Regeln, Formeln. Als zweites versteht jedwedes Kind vollkommen eben das grundsätzliche Prinzip, doch verliert es sein Interesse, wenn der Weg zum Prinzip unnötig viel Zeit für sich in Anspruch nimmt. Fangt den Unterricht mit den zugrunde liegenden Dingen der Sache an und nicht mit den Hilfsmomenten. Rhythmus, Harmonie und Melodie muss man gleichzeitig erfahren. Wenn der Schüler, der Jazz erlernt, Akkorde für die linke Hand erlernt, dann sollte er mit der rechten Hand währenddessen auf jeden Fall eine beliebige Improvisation spielen und mit dem Fuß den Rhythmus halten. Erlernt der Schüler diese drei Komponenten getrennt nacheinander, so wird er, wenn er sie am Ende zusammensetzen wollen wird, später gezwungen sein die Akkorde neu zu suchen, weil es zwei komplett verschiede Aufgaben sind, diese Akkorde mit „Störfaktor" der rechten Hand oder ohne zu visualisieren. Es wäre ebenso fehlerhaft zu denken, dass der Schüler zuerst den Violinschlüssel parat zu haben hat und dann nach ungefähr einem halben Jahr den Bassschlüssel mit Leichtigkeit beherrschen soll. In diesem Fall ist der Kern der Problemstellung das Vom-
Also: der Violinschlüssel und der Bassschlüssel, die Längen, das Transponieren; grundlegendes Wissen zur Harmonie: Tonleiter, Intervall, Akkord, Umkehrung.
Der nächste Schritt zur Erweiterung des erlangten Wissens besteht aus dem Zusammenspiel und der Verbindung von Akkorden, Akkordfunktionen und –Bestrebungen. Der Schüler ist für diesen Weg schon bereit. Bei mir ist zu diesem Kern und Zentrum, von dem die Zusammenhänge in die Vergangenheit und in die Zukunft der musikalischen Komposition auslaufen, Bach geworden. Ein Komponist hat mal gesagt: „Für mich strebt alle Musik vor Bach zu Bach und alle Musik nach Bach strebt auch zu ihm."
So oder auf andere Art und Weise, auf jeden Fall assoziiere ich meine Kindheit nun mit Bach oder aber wenn man so will Bach mit meiner Kindheit.
Mit 6 Jahren begann meine Bekanntschaft mit der Musik und zwar mit einem der allumfassendsten, Grundlagen bereitstellenden Komponisten europäischer Musik. Für mich drückt Bach sehr genau die Möglichkeiten der Zwölftonreihe aus und dessen harmonische Auflösungen in Quintenbeziehungen. Seine Phrasierung, Rhythmik und Harmonie fallen in vielen Punkten zusammen mit der Logik des Jazz und ins Besondere des Bebop, verstanden als lineare Improvisation: die melodische Linie, die immanent die Harmonie hervorbringt oder zur gleichen Zeit die Harmonie, die hervorgebracht wird aus zwei, drei, vier und gegebenenfalls mehr melodischen Linien. Mit Bach kann man die musikalische Ausbildung beginnen und er selbst vervollkommnet diese auch.
Als ich spielte waren meine Eltern so angetan davon, dass ich mich in eine Sache vertiefte, dass sie mich niemals unterbrachen und sogar mit leiser Stimme sprachen. Vielleicht kommt bei mir auch deshalb immer noch die Empfindungen von Ruhe, Stille und Befreiung von Sorgen hoch wenn ich heute Bach höre, so wie es während der Kindheit zuhause und in der Musikschule hochgekommen ist. In der Musik Bachs gibt es keine Gestalten, keine Naturkräfte und Landschaftsbildnisse oder Personifikationen, seine Musik ist so streng auf den Regeln der Akustik gebaut, dass sie dementsprechend nicht Sujets darreicht sondern die Harmonie der Welt, wie wenn du auf Sterne gucken würdest – du siehst nur die Sterne und die Gesetze, die sie am Himmel halten. In ihnen und nur in ihnen ist das Rätsel und die Ahnung vom Geheimnis der Weltbildung eingebunden und sonst niemand und nichts. Zum Wachsen bedürfen wir der Dissonanz; wir finden jedwede mögliche Dissonanz und lösen diese in eine „friedliche" Tonika auf. Hierin liegt der Sinn der Kunst – Widersprüchlichkeiten finden nur statt, um diese aufzulösen. Hierin liegen der Sinn der weltlichen Koexistenz und der philosophische Sinn der Musik Bachs. Es erstaunt nicht, dass die kompliziertesten Beziehungen seiner Harmonie mit Kindheit assoziiert werden. Ich sagte bereits; ein Kind versteht alles und deshalb muss man mit dem Schwierigsten, Leichtesten und Wunderbarsten, das es in der Musik gibt, anfangen; Kinderlieder oder teilnahmslose Übungen, Pauken vermeidend. Dieses wird auch noch kommen, doch es wird später kommen aber es wird dazu kommen und kommen wird es auf natürliche Art und Weise – vom Kern zu Details.
… Ja wenn meine Eltern nur gewusst hätten, wie weit die Musik mich wegführt vom geregelten und vorgegebenen Dasein der Sowjet-
Danach habe ich 7 Jahre in der Musikschule gelernt. Neben dem Klavierunterricht wurden wir in Solfeggio, musikalischer Literatur zu Komponisten und ihren Werken, dem Spielen in einem Ensemble, musikalischer Begleitung und dem Spielen in einem Orchester unterrichtet. Was das Solfeggio oder Gehörbildung betrifft, so sind meiner Meinung nach sieben Jahre zwei Tage die Woche Intervalle erkunden, sie nach Gehör unterscheiden, sie selbst bilden, Musikdiktate schreiben und auswendig Stücke singen, um zu lernen sie richtig zu intonieren, eine unbegründet lange Zeit. Das Maximum, zu dem wir gekommen waren, war, dass wir Dreiklänge und ihre Umkehrungen sowie die Umkehrungen von Dominantseptakkorden singen und bilden konnten. Ausgehend von meiner pädagogischen Erfahrung habe ich in Erfahrung gebracht, dass man sich diese Dinge innerhalb von zwei Jahren aneignen kann auch wenn die siebenjährige Praxis des Diktatschreibens sich möglicherweise auch bewährt hat. Ich finde, dass man sich in zwei Jahren sehr gut mit den Intervallen und Akkorden im vierstimmigen Satz bekanntmachen hätte können und sie dann die übrigen fünf Jahre in vierstimmigen Diktaten praktizieren könnte-
Zu der Zeit als ich Musikunterricht in der Musikschule bekam, fingen mein Bruder und seine Generation an, sich für Rockmusik zu begeistern, welche ins Land Eingang fand über Schallplatten, welche im Ausland gekauft wurden. Wenn jemand auf dem Schwarzmarkt zum Beispiel The Beatles gekauft hatte, so strömten daraufhin in seine Wohnung unverzüglich Menschen mit ihren Tonbandgeräten (gute Schallplattenspieler waren eine Seltenheit ebenso wie Schallplatten selbst), um die Musik der Schallplatte auf Band aufzunehmen. Unsere Eltern schenkten meinem Bruder ein Tonbandgerät und direkt an ihn anknüpfend war ich sogleich fasziniert von Brit Pop. Die Harmonien von The Beatles, Pink Floyd, Queen, Rolling Stones, Moody Blues schienen so ungewöhnlich, dass man sofort etwas in der Art komponieren wollte. Nach und nach kam ich dahinter, dass im Brit Pop der Gebrauch von Quinten Beziehungen und besonders eine Dominante in Reinform nicht gewünscht sind: also muss man alles genau umgekehrt zur klassischen Musik machen, Parallelismen, Terzfälle, parallele Akkorde und Gegenklänge, welche nicht in die natürliche Tonleichter passen, gebrauchend, sodass eine erfrischende Neuartigkeit entsteht. Ganz besonders wurde die doppelte Subdominante geschätzt, doch die Akkorde und Akkordfolgen konnten sich in beliebige Richtungen und Abstände bewegen. Ich sammelte wohlklingende Akkorde ohne ein jegliches System zu haben und baute sie in unterschiedlichen Reihenfolgen aneinander, auf diesem Weg Lieder komponierend – das könnte eine gute Praxis sein, da ich nach der Methode des Rockmusik-
Doch dies hatte Ähnlichkeit mit der Herangehensweise aus der Musikschule: es fraß sehr viel Zeit. Irgendwann wurde auch dieser Impuls zur Erforschung von Harmonie unmerklich für mich zu einer Bremse für eine weiterführende Entwicklung. Vor allem weil zum zehnten Jahr der Grundschule ich schon in zwei schulischen Ensembles meine Liedchen auf Gitarre, Bassgitarre und elektrischer Orgel spielte. Es war kein Problem, ein paar zu schreiben, doch das Image einer echten Rockband lenkte von der Suche nach weiterem, das hinter dem Auskennen in und Erproben von elektronischen Instrumenten und der technischen Möglichkeiten von Klangverstärkung lag, ab. Nun kann ich Akkorde und ihre Folgen charakteristisch für Brit Pop, Soul, Rhythm ‘n‘ Blues schematisch auf vier Unterrichtsstunden aufteilen damit ein Schüler sie später beim Schreiben von Liedern einfach eigenständig verwenden kann: stellen Sie sich vor, wieviel Zeit ich darauf verschwendet habe, nach Gehör meine Lieblings-
Es ist sehr wahrscheinlich, dass, wenn wir im Unterricht zur Gehörbildung den vierstimmigen Satz trainiert hätten, es mir auch hier viele Jahre erspart hätte. Doch nichts eignet sich so nachhaltig an wie die eigene Erfahrung, die eigene Initiative und die eigene Praxis. Stimulus dafür war zu der Zeit für mich die musikalische Mode und die Anziehungskraft, das Freiheitsgefühl und die Direktheit der Rockmusik. Aber ich bin froh, dass ich über die Rockmusik in den darauf folgenden Jahren hinausgewachsen bin: ich weiß, dass Rockmusik an sich qualitativ neue Ebenen harmonischen Entdeckens nicht anbietet – diese muss man selbst suchen. Viele meiner Freunde sind bei dieser Ebene geblieben, von welcher aus eher nur die äußere, oberflächliche Schönheit der Harmonie sichtbar ist und manchmal hören diese Leute gerne klassische-
In meinem schulischen Rockband-
Zum Glück beendete ich dieses Hobby, als ich den verpflichtenden Militärdienst antrat -
Ich würde nicht gerne von der harmonischen Stumpfheit der Rockmusik reden wollen: die Strömung selbst legt keine bestimmten Grenzen fest, sondern hängt konkret von den Interpreten ab. Die zufällige Auswahl von Akkorden zueinander kann selbst nach Gehör, intuitiv die klassischen Quintbeziehungen meidend, die Stilistik des Genres ästhetisch bestimmen. Doch diese Ästhetik könnte man auch mit klassischen Mitteln erzeugen, zum Beispiel mit Hilfe von Terzfällen oder dem Gebrauch von Gegenklängen, die nicht zur Tonalität des geschriebenen Stückes passen. Alles ist möglich, wenn man es denn braucht. Rock ist sich selbst genug als eine jugendliche Alternative zu den Gesetzen der Weltbeschaffenheit. Doch sogar als hypothetische Richtung einsteigender Musiker ändert die Rockmusik doch auch ihre Formen und hat schon heute manchmal Prinzipien der Stimmführung in sich, die teilweise mit der klassischen Stimmführung sehr verwandt sind. Manchmal grenzen sie sich aber auch absichtlich von der Vergleichbarkeit ab und insgesamt lässt sich nicht sagen, dass Rockmusik in sich keine neuen Tendenzen legitimieren würde. Zwar vielleicht langsamer als sonst, doch auch was den Weg der Rockmusik betrifft, so liegt dessen Anfang noch nicht so weit zurück und abgeschlossen wurde er auch noch nicht.
Doch mit dieser Erfahrung war es nun vorbei und ich fiel für zwei Jahre aus dem musikalischen Leben heraus. Ich konnte keine Vertagung meines Militärdienstes erzielen, und ohne Attest der mittleren Schulreife bin ich nicht ins Musik–College gekommen, so waren die Regelungen. Das übrige Jahr vor dem Militärdienst spielte ich zwar in einer Rockgruppe, doch das Wichtigste für mich war, dass ich in einer Musikschule angenommen wurde, die zum Konservatorium gehörte. Ohne irgendwelche Perspektiven anzustreben sondern einfach so, um noch etwas Musik zu machen. Gerade dort habe ich den vierstimmigen Satz erst richtig kennengelernt und zum ersten Mal diesen bezaubernden und irreführenden gregorianischen Choral gehört, der bei aller „Richtigkeit" der Stimmen, hinter denen das Vertikale unsichtbar bleibt, sich plötzlich in eine neue Tonart auflöst. Ein interessanter Eindruck: ich habe damals gesehen, das das Vertikale, die Harmonie sich nur dann hören lassen wenn sie eine Dissonanz im Akkord bilden oder wenn die harmonische Funktion sich entweder mit größerer Spannung verändert oder aber unerwartet. Ich weiß nicht wie sehr man das als Gesetz auffassen dürfte, doch so erkläre ich nun die Notwendigkeit der scharfen Dissonanz in der Jazzharmonie – zum Beispiel die Anwesenheit einer kleinen Sekunde im Akkord. Wenn der Akkord mehr als nur eine kleine Sekunde beinhaltet dann klingt er übermäßig polytonal und verwischt eher die Farbe des Akkordes zu zwei oder mehr Harmonien anstatt sie zu untermalen und eben damit die Jazzgattung zu Polytonalität drängend – zum Nachteil eines möglichen impressionistischen Ursprungs einiger Jazzgattungen. Doch das Allgemeinprinzip der Polyphonie, wenn nicht Akkorde eine Mehrstimmigkeit erzeugen, sondern die Mehrstimmigkeit Akkorde erzeugen kann, fiel mir erst dort ins Auge, in der Schule am Konservatorium. Mag sein, dass es etwas spät war, doch etwas Praxis in dieser Richtung gab mir während der zwei Jahre Militärdienst die Möglichkeit zu reflektieren, was ich über die Musik erfahren möchte und nachdem die Militärzeit abgeschlossen war, entschied ich mich dafür, am Musik-
Was hat man sich unter einer Jazzabteilung im Musik-
Die Jazzfakultät war damals verhältnismäßig neu und die Jazzlehrer waren zwar erfahrene Musiker, doch nicht alle verfügten über eine klar formulierte Methodik zum für den Jazz-
… Wenn ein angehender Musiker sich das Ziel gibt, mit Jazz anzufangen, dann kommt ihm nicht in den Kopf, direkt zum tiefen Verständnis der Musik überzugehen – er hört sich Platten von Meistern des Jazz an, doch nicht aus welchen Noten der Musiker auf der Platte seine Phrasen baut, welche Akkorde er verwendet, ob er seine Komposition wohl plant oder sie wohl spontan von sich geht. So ein feines Verständnis von Jazz scheint einem Anfänger so unerreichbar weit liegend, dass er das Erlernen schwieriger Jazzmusik zur Seite legt und sich in die Momente seiner Jazz-
Eigentlich nimmt die Eigenart jedes konkreten Meisters nicht so viel Platz in seinem Spiel ein. Alles Übrige ist eben die Tradition, auf welcher der Musiker aufbaut. Überhaupt kann Innovation manchmal sogar nur einige wenige Prozente von der Gesamtheit der Phrasen und Harmonien in einem Stück einnehmen, aber dennoch gut hörbar sein und zwar eben darum, weil sie vor dem Hintergrund traditionellen Materials erklingt.
Ich erinnere mich daran, dass es für mich am Anfang an schwierig war, einfach nur dem Rhythmus komplizierter Jazz-
Man sollte nicht einfach nur Noten spielen, ohne Phrasen, z.B. nur der Triolen-
So war es bei mir, auch wenn es wohl eine unbegründet lange Zeit dauern musste: ich war so sehr mit eigenen Jazz-
Doch wieso ist meinem Jazz-
…Jedenfalls; anstatt marxistisch-
Aus dem College ist mir eine Diskussion mit meiner Lehrerin für Harmonie im Gedächtnis geblieben: sie meinte im Neapolitaner (-
und zwar die Tritonus enthaltenden – mit je zwei addierten Quarten von Oben, die eine Sekunde in der Mitte enthalten und je zwei mit hinzugefügter großer Terz;
und die in sich einen verminderten Septakkord enthaltenden – davon vier mit einer oberen Terz, die zur Quarte vergrößert wird und vier mit einer oberen Terz, die zu einer großen Terz ausgeweitet wird.
Die Akkorde, die einen Tritonus enthalten, können aus mixolydischen Tonleitern oder aus einer Dur7/+4-
Die klassifizierten Akkorde, die in sich einen Tritonus oder einen verminderten Septakkord beinhalten, sind leicht zu klassifizieren bei einer Zweihandaufteilung für mehrstimmige Akkorde mithilfe sogenannter „Pseudo-
Der zweite Teil dieser Methodik für den Jazzunterricht besteht aus der Aneinanderreihung einiger Akkorde, die dann oft zu einem Klischee wird, das bestmöglich eine ökonomisch-
Zwei grundlegende Jazz-
Die beiden Kadenzen kann man verwenden als Reihenfolge klischierter Akkorde, die eine klischierte Akkordreihenfolge in fast allen Jazz-
Eigentlich war dies alles in meinem Kopf zum Ende des vierten College-
In der College-
Nach dem College habe ich meine eigene Firma gegründet, ein Tonstudio, in dem ich Musikgruppen, Orchester und Chöre aufnahm, meine eigene Musik schrieb und arrangierte und die Musik anderer Komponisten auch. Dabei habe ich musikalisches Equipment, Synthesizer und musikalische Computerprogramme angewandt, die mir erlaubten, Musik auf elektronischem Wege zu schreiben. Auf diese Art und Weise habe ich viele Radio-
Köln spielte eine entscheidende Rolle in meinem Leben – hier lernte ich wunderbare Musiker kennen und vertiefte mich in den alltäglichen Austausch musikalischer Erfahrung, und dies in einer Stadt, wo die musikalische Kultur sehr hoch entwickelt ist. Mich erstaunte, dass ich bisher in Novosibirsk mich mit meinen musikalischen Ideen alleine gefühlt hatte und immer wenn ich von ihnen erzählte bemerken musste, dass sie allzu abstrakt und theoretisch aufgefasst wurden, ohne sie für eine praktische Umsetzung in Erwägung zu ziehen. Hier in Köln ist alles anders: wenn ich mir morgens irgendeine harmonische Auflösung ausgedacht habe, so kann ich schon tagsüber davon in einer Unterrichtsstunde erzählen und zum Abend wird diese Idee schon praktisch angewandt werden wie ein etabliertes Lick, Trick oder Pattern in der Pianojazz-
Natürlich ist das Level anfänglichen Vorwissens meiner Schüler hier stärker als das meiner Schüler in der Stadt, in der ich geboren wurde, und dies forderte von mir eine genaue und klare Methodik für den Jazzpiano-
Was ist Jazz?
Was ist Jazz-
Was ist Jazz-
Was sind Jazz-
Einst musste ich selbst Antworten auf diese Fragen suchen und jetzt weiß ich, was ein Schüler als allererstes wissen will. Was er zuoberst gerne wissen wollen würde, ist nun mal eben der Kern des Jazz, von dem aus wir uns fortbewegen und unser Detailwissen in alle Richtungen ausstreuen und ausweiten.
Es gibt noch eine Idee, die ich bei meinem Pianojazz in Köln akzentuiere. Ich gehe davon aus, dass in einem Jazz-
Wenn man ein Akkompagnement bildet, das die Stride Piano-
So kam es, dass unabhängig davon, ob ich in Köln Jazz Piano Anfängern oder Fortgeschrittenen anbiete, die Methodik gleich gut zu jedem Schüler passt, da sie auf unterschiedlichen technischen Schwierigkeitsgraden nach identischem Prinzip funktioniert. Die Erfolge der Schüler, die eigenständig ihre eigenen Ideen herausbilden, indem sie ihr Instrumentarium an Wissen und Erfahrung aus dem Unterricht anwenden, freuen mich und inspirieren wiederum auch meine eigenen Entdeckungen in der Jazzmusik.
In meinen Gedanken zur Methodik des Klavier-
Wir alle gebrauchen dieselben musikalischen, harmonischen und stilistischen Regeln doch die Musik, die wir erzeugen, ist unterschiedlich. Jeder drückt mit ihrer Hilfe seine eigene, nur seine eigene nicht nachahmbare Eigenart aus – dies ist der Punkt an dem der Lehrer die Erfahrung des Schülers im Suchen übernehmen kann und der Jazzunterricht im Idealfall zu jenem Austausch von Erfahrungen wird, der zum musikalischen Reifen führt.
Ich bin davon überzeugt, dass jeder Jazz spielen kann, dass dies schon naturbedingt in uns vorhanden ist und jeder nicht nachahmbar spielen kann – auch das ist eine natürliche Eigenschaft des Menschen.
Evgeny Tcherstviakov
Jazzunterricht in Köln