Evgenij Tcherstviakov. Jazz-Piano Klavierunterricht in Köln für Anfänger und für Fortgeschrittene

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Geboren wurde ich in Novosibirsk (Russland) im Jahre 1963. Meine Mutter unterrichtete Literatur, mein Vater war Ingenieur. Wir lebten zu fünft in einer kleinen Wohnung mit drei Zimmern; meine Großmutter, mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und ich. Meine Großmutter hatte diese Wohnung während Chruschtschows sogenannten „Tauwetters" bekommen, als sie schon Witwe geworden war, nachdem mein Großvater repressiert und erschossen wurde. Eines Tages, schon mit 18 Jahren, fand ich in einer Kiste für unsere Familienunterlagen zwei alte Zettel: in einem stand geschrieben, dass der Ehemann meiner Großmutter postum rehabilitiert wurde und im zweiten, dass meine Großmutter miteinbezogen war in die Liste der Familien Rehabilitierter, die ein Zuhause bekommen sollten.

Ich bin eines Tages eine Straße entlang gegangen und habe Läden gesehen für Veteranen des zweiten Weltkrieges und dachte mir, dass es Läden für die Opfer der Repression sehr wahrscheinlich niemals geben wird.
Mein Bruder und ich lebten zu zweit in einem kleinen Zimmer mit zwei Betten. Doch so wie meine Eltern den ganzen Tag bei der Arbeit verbracht haben und mein Bruder schon zur Schule ging, habe ich nie eine Enge verspürt. Ich war dann mit meiner Großmutter, die mich liebte, alleine zuhause und wir gingen beide unseren eigenen Beschäftigungen nach. Manchmal unterhielten wir uns auch. Abends versammelten sich alle nach der Arbeit in der Küche und aßen und schauten danach Fernsehen im Wohnzimmer: zu der Zeit wurden nur zwei staatliche Sender ausgestrahlt. Und nach den einseitigen und langweiligen Nachrichten wurde dort für gewöhnlich ein Film gezeigt – fast immer entweder zu einem militärischen oder industriellen Thema. Auch das war langweilig, aber die Atmosphäre familiärer Wärme – die ist auf unbewusster Ebene im Gedächtnis geblieben: ich war der Kleinste und zu der Zeit als Großmutter noch lebte, spürte ich auf mir die Beachtung, von welcher ich mehr bekam als mein älterer Bruder, auf den bereits die elterliche Erziehung gefallen war, begründet auf ausgeprägter Disziplin:  er ging zur Schule und nach dem Unterricht hatte er die Musikschule für Akkordeon – Stunden zu besuchen.
Er spielte nicht bereitwillig und führte die häuslichen Übungen wie eine routinierte Pflicht aus. Doch er spielte gut. Mein armer Bruder! Zusätzlich musste er auch noch am Leistungsschwimm – Unterricht teilnehmen – das hatte ihm mehr gefallen: im Schwimmbad gab es keine beständige elterliche Aufsicht.

Mein Bruder und ich hatten früh schlafen zu gehen, doch nachdem unsere Eltern uns das Licht ausmachten, erzählte er mir im Dunkeln allerlei Geschichten, und ich hörte ihm zu.
Aus dem Wohnzimmer, wo der gewöhnliche TV-Film lief, drangen zu uns die Stimmen der Eltern. Doch wir hatten unsere eigene Welt – die Welt der Fantasie und der Freiheit.
Eines Tages verstarb Großmutter: als sie starb hörte ich alles, was im Wohnzimmer geschah. Der Bruder meiner Mutter war gekommen. Mich hat man zum Abschied nicht ins Wohnzimmer gelassen, vielleicht um mich nicht zu betrüben. Ich saß am Sekretär, wo mein Bruder sonst Hausaufgaben machte und malte etwas auf DIN A4-Blättern, welche Vater von seiner Ingenieursarbeit mitbrachte, extra, zum Malen. Dann wurde alles still und ich verstand, dass Großmutter im Nebenzimmer gestorben war. Vater trat heraus, kam in unser Zimmer und streichelte schweigend meinen Kopf. Ich habe behalten, dass ich anfing zu weinen, eine Träne aufs Blatt fiel und dort auseinanderging. Das ist aus irgendeinem Grund im Gedächtnis geblieben. Ich erinnere mich auch noch daran, dass, obwohl man uns zu streng vorgegebenen Zeiten aus dem Haus  und nur in den Hof ließ, ging ich am nächsten Morgen hinaus und kam erst am Abend wieder – ich war an die 6 Jahre alt und kam an dem Tag vergleichsweise weit herum. Meine Mutter hatte sich erschreckt, aber ich weiß nur noch dass ich bis zum städtischen Flughafen gekommen war. Doch woran ich gedacht habe, das weiß ich nicht mehr.
Von da an schlief mein Bruder im großen Zimmer und nur seine Sachen wurden weiterhin in meinem aufbewahrt.

… Einmal bin ich krank geworden und lag lange im Krankenhaus, und als meine Mutter mich besuchte sagte sie lächelnd, dass sie mit Vater zusammen ein Geschenk gekauft hätten und dass es weder ein Fahrrad noch ein Spielzeug war – nein, nein. Ich schaffte es nicht zu erraten, was es war und quälte mich eine ganze Woche lang mit Raten und Grübeln und als man mich aus dem Krankenhaus wieder abgeholt hatte, fand ich zuhause ein unheimlich schönes Pianoforte vor, ein Zimmermann. Es roch nach Naphthalin, war unfassbar teuer – tausend Rubel – und war neben dem Geschirrschrank, dem Esstisch und den Bücherregalen der vierte polierte Gegenstand in der Wohnung. Ich kann mir noch immer nicht erklären, wie diese Reihe an Zimmermann-Instrumenten in unsere Stadt gekommen war, aber ich habe letzten Endes fast bei jedem namhaft gewordenen Musiker in unserer Stadt so eines im Besitz vorfinden können, und da auch ich es schaffte, mir einen Namen zu machen, beschlich mich unweigerlich die Idee, ob nicht Instrumente Musiker machen und nicht umgekehrt. Doch Witze beiseite, auch die Klavierlehrerin meiner Tochter sprach aus, dass es für sie nicht viel Sinn ergäbe Schüler zu unterrichten, die zum Beispiel auf einem Keyboard das Handwerk erlernen wollen.

Und die fehlerhafteste Überlegung, die Eltern tragen könnten, ist, dass es ausreichen würde, ihrem in die Musik einsteigenden Kind vorläufig ein billiges Instrument anzuschaffen, um später auf ein gutes und teures umzusteigen, falls das Kind sich beweisen sollte: ein schlechter Klang langweilt ein Kind ungemein und es verliert direkt das erste Interesse an Musik. Jedenfalls waren diese Instrumente dort eine deutsche Rarität und so etwas ist in der folgenden Geschichte Novosibirsks nicht mehr vorgekommen. Ich hatte also unbeschreibliches Glück denn meine Eltern wussten gar nicht, womit sie mich da beschenkt hatten.

Dieses Gefühl, wenn du dich das allererste Mal ans Klavier setzt, den Deckel aufmachst und die weißen und schwarzen Tasten siehst, und du einige Zeit hast, um dich dessen zu vergegenwärtigen bevor du diese Tasten anschlagen wirst – und du weißt nie, welche du gleich zuerst betätigen wirst -, dieses Gefühl durchlebe ich bis heute: jedes Mal, sobald ich an ein Upright Piano oder Flügel trete. Dieses, wie ich bemerken muss, äußerst einvernehmende Gefühl – das Gefühl von Ungewissheit und gleichsam einer Entdeckung.

… Ich spielte einige Töne das Pedal runterdrückend und dann einige Töne gleichzeitig, vollkommen zufällig und in unterschiedlichen Registern, unvorhergesehen erfühlend, dass jegliche Kombination an Tönen schön sein wird ebenso wie auch das Klavier selbst nicht anders als schön sein kann. Und ebenso erinnere ich mich, dass, als ich viel später das erste Mal eine chromatische Tonleiter gespielt habe, sie auch wunderbar klang und hörbar war, wie immanente Harmonien ineinander überfließend sich hinter jeder Note verstecken und es ist unmöglich sie alle gleichzeitig zu erfassen, auch wenn sie sich auf intuitivem Wege alle klar und tiefgehend erraten lassen. Wenn ich nur gewusst hätte, dass mich bis zum Verständnis der Quintenschritt-Harmonien und ihrer Tritonus-Substitutionen nur ein Schritt trennt! Doch dann gerieten die Chromatismen leichtsinnigerweise in Vergessenheit und wurden lediglich zum Blendwerk von Demonstrationen nicht allzu schwieriger Technik. Erst nach dem Vergehen einiger Jahre fing ich wieder an, die polytonalen Harmonien in Atonalität und Chromatismen  so gut und klar zu hören wie ich sie zu jener Zeit gehört hatte. Versucht doch mal zufällige Töne zu spielen wie zu Kinderzeiten, das rechte Pedal gebrauchend, und hört hin, wie viel Harmonie sich hinter zwei, drei von solchen verbergen kann.


Ich habe oft gesehen, wie Kinder, wenn sie das erste Mal an ein Instrument treten, einige Noten spielen, sich erschrecken und verdutzt zu ihren Eltern anschauen: „Was soll ich denn spielen?". Ich denke dieser Moment ist entscheidend und oft tragisch fehlerbehaftet: an diesem Punkt stellen viele Lehrer nach solch einer Frage vor diesen kleinen Menschen ein Blatt mit Noten hin und von diesem Moment an verliert er die Fähigkeit, die ihm nötigen Töne zu hören, auszusuchen, zu vergleichen, zusammenzustellen, so zu komponieren und dem Instrument zu vertrauen. Solch eine Initiative verlierend vertraut er nun den Noten und nicht seinen Ohren. Und von diesem Moment an hört die Suche nach Harmonie und die Gehörbildung auf.
Mit den Jahren habe ich verstanden, dass jedwedes Diktieren, jedweder Zwang und vielleicht sogar selbst die Disziplin, soweit nicht ausgerichtet auf die eigenständige Suche sondern auf das Befolgen gegebener Noten, in dem Kind Gehör und Fähigkeit tötet. Doch zum Glück habe ich mir diese Frage  - Was soll ich denn spielen? – nicht gestellt weil spielen und hören was du spielst mir so ungemein Freude bereitet hat.

Bis jetzt weiß ich nicht; spiele ich auf dem Klavier oder es mit mir? Ein großes Glück, dass man mich vorerst für zwei drei Monate alleine mit dem Klavier gelassen hatte. Es gab keinen einzigen Tag an dem ich mich nicht an das geliebte Klavier gesetzt habe. Und mich so daran gewöhnend, dass das Klavier und ich ohne Mittelspersonen auskommen können und Gefallen am selbstständigen Musizieren findend, entwickelte ich sehr wahrscheinlich deshalb die Fähigkeit zum eigenständigen und initiativen Ersuchen. Erst nach einiger Zeit luden meine Eltern einen Klavierlehrer ins Haus ein – vielleicht hat die Tatsache, dass die Noten sich nicht direkt zwischen mir und dem Pianoforte aufgebaut hatten, die Glück bringende Rolle in meinem musikalischen Leben gespielt.
Zur Frage wieso mein Bruder, der sehr musikalisch war, gezwungenermaßen und unwillig übte und wieso mir das spielen Freude bereitete:
Die soziologische Erklärung zu jenem Phänomen, wenn bei ein und denselben Eltern ein Kind zum Beispiel mehr Neigung zu Technik oder Sport vorweist und das andere mehr an dem Erklimmen der Kunst oder humanitären Fragestellungen interessiert ist, mag  hier folgende sein:

In meinem Fall klärte sich dieses Paradoxon sehr leicht auf: meine Eltern erzogen meinen Bruder in der Epoche des Stalinismus, als Fragen des Seins, der Philosophie, Ethik und Ästhetik außerordentlich unpopulär waren und es sogar einfach nur gefährlich war, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich hingegen erblickte das Licht der Welt zur Zeit von Chruschtschows „Tauwetter", als intensive Diskussionen zu Kultur gefordert waren und die Disziplinen der Kunst und die Mode blühten: Mode von Kleidung,  von Musik, von modernen Inneneinrichtungen, Torchères und Sofas im 50er Jahre Stil der Moderne, Regale und andere Möbel, die geometrische Formen nachahmten – alles das wurde offensichtlich kopiert und übernommen von der westlichen Epoche der Moderne. Die relative Meinungsfreiheit initiierte eine ebenso relative Blüte der Literatur (es wurde z.B. in, in Zügen zu lesen). Davon blieben auch meine Eltern nicht unberührt und auf ganz natürliche Weise setzte sich dies in meinem Weltbild ab. Und noch etwas: ich hatte nie etwas Eigenes besessen; ich trug immer das aus, was meinem Bruder gehört hatte und spielte mit Spielzeugen, die zuvor ursprünglich meinem Bruder gekauft wurden und alles das gehörte nach dem „Recht des Älteren" in erster Linie ihm. Das Pianoforte allerdings, das war hingegen etwas, das ausschließlich mir gehörte. Es war in der Tat ein freizügiges Geschenk, aber vor allem ein tatsächliches Geschenk. Niemand zwang mich ungefragt mit Phrasen wie „Morgen wirst du in die Musikschule gehen.", wie sie bei der Mehrheit sowjetischer Kinder sonst ausgesprochen wurden. Mir hat man die Musik einfach geschenkt und nicht aufgebunden. Eine neugierige Pädagogik, nicht wahr? Und mit meiner ersten Lehrerin, die meine Eltern zum Üben mit mir eingeladen haben, hatte ich umso mehr Glück.
Ich will erzählen, warum.


Es existieren zwei Extremfälle, welche das Interesse zur Musik auslöschen. Den ersten habe ich schon umschrieben – der wäre wenn Disziplin und Zwang die Liebe zu jener, zu eigenständigen Entscheidungen ersticken. Der zweite ist, wenn anstatt ins Wesen der Musik einzutauchen, nur oberflächlicher Unterricht, quasi nur mit Spaß, dem Kind  zuteil wird, , die Bekanntmachung mit der Quintessenz des musikalischen Phänomens verzögernd und diese mit oberflächlichem Kennenlernen eintauschend: wie wenn du anstatt ein Schloss zu betreten, um dieses drum rum wandern würdest. Die Kinder, die direkt auf der Musikschule gelandet waren, durchliefen einen sogenannten vorbereitenden Einführungskurs, wo sie schief Kinderlieder gesungen, in die Hände geklatscht und das ganze Jahr über sieben Töne und deren Länge erlernt haben. Mit meiner Musiklehrerin, die zu mir ins Haus kam, hatten wir das nach wenigen Wochen hinter uns, und ich beschäftigte mich zwei Jahre vor der Musikschule unmittelbar mit der Musik selbst. Und als sie mir eine Musikschule empfahl, war ich um vieles besser vorbereitet: so ist es gekommen, dass bei mir in Folge eigenständiger Erfahrung auch eigenständige Fragen aufgekommen waren, auf die ich dann Antwort bei meinen Lehrern bekam – der Lehrer antwortete auf meine Fragen, meine Neugier stillend, und bot nicht eigene Fragestellungen an. Deshalb habe ich in der Musikschule nie die Atmosphäre des Geprüft-werdens verspürt, doch dafür die Unterstützung der wissenden Lehrer zu denen ich letzten Endes gekommen war, um mit ihnen meine Gedanken zu teilen und das was mich interessiert. Natürlich, wenn ich jetzt vergleiche was besser war; die vorbereitenden Kurse der Musikschule oder das intensiv individuelle Geschult-werden von einem Pädagogen zuhause, dann verstehe ich, dass die zufällige Entscheidung meiner Eltern ein weiteres Glied in der Glückskette des Idealfalls war, bei dem der Schüler erst dann eines  Pädagogen bedarf, nachdem bei  ihm selbst  Fragen und Initiativen  gereift waren.
Und es gab noch einen dritten Faktor, der sich aus der mir gegebenen Initiative und musikalischen Suche ergab: meine Musiklehrer liebten mich für meinen Hang zur Initiative. Auch das war ein wichtiger Stimulus, denn: nach dem Tod meiner Großmutter, die weise war und noch die Traditionen der alten und vorsozialistischen Epoche verkörperte, verschwand die Atmosphäre des Verständnisses und der Liebe aus meiner Familie, lediglich Nötigung, unbegründetes Misstrauen und sinnfreien Kontrollzwang hinterlassend – unseren Eltern schien es, dass sie mit Strafen und Disziplin unser alltägliches Dasein kontrollieren könnten. Vater und Mutter arbeiteten und abends hatten sie keine Zeit mehr, sich mit uns zu unterhalten. Sie kontrollierten nur die Hausaufgaben und gaben den Kindern neue Aufgaben: man kann sie verstehen, sie wollten auch mal für sich leben und für ein wohlwollendes Gespräch war da nun mal nicht immer Zeit. Ich würde sagen, dass sie zwar nicht böse auf uns waren, aber der Erhalt einer warmen Atmosphäre war nicht der zentrale Sinn ihres Lebens. Unter diesen Bedingungen wurden die Musik und die Warmherzigkeit meiner Musiklehrer eine Alternative zur alltäglichen Nötigung, Kontrolle und Routine.

Die Frage betreffend, womit man die musikalische Schulung beginnen soll, so finde ich ausgehend von meiner Erfahrung als Schüler und Pädagoge, dass man bei der Quintessenz der musikalischen Frage anfangen muss, bei ihrem Kern, und diesen klar und unkompliziert festhaltend, nach und nach das gegebene Material erschweren und ausbauen. In keinem Fall aber sich umgekehrt dem Kern als letztes über Details annähern aus Vorsicht, dieser könnte dem Schüler zu kompliziert vorkommen. Allem voran gibt es keine solche Theorie, die sich nicht mit einfachen Worten erklären ließe, Regeln, Formeln. Als zweites versteht jedwedes Kind vollkommen eben das grundsätzliche Prinzip, doch verliert es sein Interesse, wenn der Weg zum Prinzip unnötig viel Zeit für sich in Anspruch nimmt. Fangt den Unterricht mit den zugrunde liegenden Dingen der Sache an und nicht mit den Hilfsmomenten. Rhythmus, Harmonie und Melodie muss man gleichzeitig erfahren. Wenn der Schüler, der Jazz erlernt, Akkorde für die linke Hand erlernt, dann sollte er mit der rechten Hand währenddessen auf jeden Fall eine beliebige Improvisation spielen und mit dem Fuß den Rhythmus halten. Erlernt der Schüler diese drei Komponenten getrennt nacheinander, so wird er, wenn er sie am Ende zusammensetzen wollen wird, später gezwungen sein die Akkorde neu zu suchen, weil es zwei komplett verschiede Aufgaben sind, diese Akkorde mit „Störfaktor" der rechten Hand oder ohne zu visualisieren. Es wäre ebenso fehlerhaft zu denken, dass der Schüler zuerst den Violinschlüssel parat zu haben hat und dann nach ungefähr einem halben Jahr den Bassschlüssel mit Leichtigkeit beherrschen soll. In diesem Fall ist der Kern der Problemstellung das Vom-Blatt-Lesen, weswegen der Violin- und der Bassschlüssel gleichzeitig gehandhabt werden müssen, sonst  kommt es dazu, dass der Bassschlüssel dem Schüler Jahre lang unterbewusst schwieriger erscheinen wird als der Violinschlüssel. Noch ein Fall, der mit dem Lesen vom Blatt zusammenhängt: unterrichten Sie das Transponieren nicht dann, wenn der Schüler schon über solide Technik verfügt, sondern von Anfang an. Dies wird ihm genauso leicht liegen wie das Beherrschen der beiden Schlüssel und ist außerdem den beiden vorangegangenen Aufgaben verwandt. Drittes Beispiel: dafür dass sich etwas leicht ohne Noten transponieren lässt, muss der Schüler über klare Vorstellungen zur Harmonie verfügen. Diese muss ebenso zeitgleich mit dem Vom-Blatt-Lesen dargeboten werden – Tonleiter, Akkord, Intervalle, Dreiklänge und ihre Umkehrungen. Das ist nicht viel und es ist eben jener Kern, neben dem es nichts Wesentlicheres gibt. Und es ist einfach.
Also: der Violinschlüssel und der Bassschlüssel, die Längen, das Transponieren; grundlegendes Wissen zur Harmonie: Tonleiter, Intervall, Akkord, Umkehrung.
Der nächste Schritt zur Erweiterung des erlangten Wissens besteht aus dem Zusammenspiel und der Verbindung von Akkorden, Akkordfunktionen und –Bestrebungen. Der Schüler ist für diesen Weg schon bereit. Bei mir ist zu diesem Kern und Zentrum, von dem die Zusammenhänge in die Vergangenheit und in die Zukunft der musikalischen Komposition auslaufen, Bach geworden. Ein Komponist hat mal gesagt: „Für mich strebt alle Musik vor Bach zu Bach und alle Musik nach Bach strebt auch zu ihm."

So oder auf andere Art und Weise, auf jeden Fall assoziiere ich meine Kindheit nun mit Bach oder aber wenn man so will Bach mit meiner Kindheit.
Mit 6 Jahren begann meine Bekanntschaft mit der Musik und zwar mit einem der allumfassendsten, Grundlagen bereitstellenden Komponisten europäischer Musik. Für mich drückt Bach sehr genau die Möglichkeiten der Zwölftonreihe aus und dessen harmonische Auflösungen in Quintenbeziehungen. Seine Phrasierung, Rhythmik und Harmonie fallen in vielen Punkten zusammen mit der Logik des Jazz und ins Besondere des Bebop, verstanden als lineare Improvisation: die melodische Linie, die immanent die Harmonie hervorbringt oder zur gleichen Zeit die Harmonie, die hervorgebracht wird aus zwei, drei, vier und gegebenenfalls mehr melodischen Linien. Mit Bach kann man die musikalische Ausbildung beginnen und er selbst vervollkommnet diese auch.
Als ich spielte waren meine Eltern so angetan davon, dass ich mich in eine Sache vertiefte, dass sie mich niemals unterbrachen und sogar mit leiser Stimme sprachen. Vielleicht kommt bei mir auch deshalb immer noch die Empfindungen von Ruhe, Stille und Befreiung von Sorgen hoch wenn ich heute Bach höre, so wie es während der Kindheit zuhause und in der Musikschule hochgekommen ist. In der Musik Bachs gibt es keine Gestalten, keine Naturkräfte und Landschaftsbildnisse oder Personifikationen, seine Musik ist so streng auf den Regeln der Akustik gebaut, dass sie dementsprechend nicht Sujets darreicht sondern die Harmonie der Welt, wie wenn du auf Sterne gucken würdest – du siehst nur die Sterne und die Gesetze, die sie am Himmel halten. In ihnen und nur in ihnen ist das Rätsel und die Ahnung vom Geheimnis der Weltbildung eingebunden und sonst niemand und nichts. Zum Wachsen bedürfen wir der Dissonanz; wir finden jedwede mögliche Dissonanz und lösen diese in eine „friedliche" Tonika auf. Hierin liegt der Sinn der Kunst – Widersprüchlichkeiten finden nur statt, um diese aufzulösen. Hierin liegen der Sinn der weltlichen Koexistenz und der philosophische Sinn der Musik Bachs. Es erstaunt nicht, dass die kompliziertesten Beziehungen seiner Harmonie mit Kindheit assoziiert werden. Ich sagte bereits; ein Kind versteht alles und deshalb muss man mit dem Schwierigsten, Leichtesten und Wunderbarsten, das es in der Musik gibt, anfangen; Kinderlieder oder teilnahmslose Übungen, Pauken vermeidend. Dieses wird auch noch kommen, doch es wird später kommen aber es wird dazu kommen und kommen wird es auf natürliche Art und Weise – vom Kern zu Details.
… Ja wenn meine Eltern nur gewusst hätten, wie weit die Musik mich wegführt vom geregelten und vorgegebenen Dasein der Sowjet-Union – ob sie sich darüber wohl gefreut hätten? Ich weiß es nicht, doch ich weiß, dass unser tägliches Ziel eben daraus besteht sich vom vorgegebenen Dasein zu entfernen. Dieser Faktor war ebenso ausschlaggebend für meinen musikalischen Werdegang.
Danach habe ich 7 Jahre in der Musikschule gelernt. Neben dem Klavierunterricht wurden wir in Solfeggio, musikalischer Literatur zu Komponisten und ihren Werken, dem Spielen in einem Ensemble, musikalischer Begleitung und dem Spielen in einem Orchester unterrichtet. Was das Solfeggio oder Gehörbildung betrifft, so sind meiner Meinung nach sieben Jahre  zwei Tage die Woche Intervalle erkunden, sie nach Gehör unterscheiden, sie selbst bilden, Musikdiktate schreiben und auswendig Stücke singen, um zu lernen sie richtig zu intonieren, eine unbegründet lange Zeit. Das Maximum, zu dem wir gekommen waren, war, dass wir Dreiklänge und ihre Umkehrungen sowie die Umkehrungen von Dominantseptakkorden singen und bilden konnten. Ausgehend von meiner pädagogischen Erfahrung habe ich in Erfahrung gebracht, dass man sich diese Dinge innerhalb von zwei Jahren aneignen kann auch wenn die siebenjährige Praxis des Diktatschreibens sich möglicherweise auch bewährt hat. Ich finde, dass man sich in zwei Jahren sehr gut mit den Intervallen und Akkorden im vierstimmigen Satz bekanntmachen hätte können und sie dann die übrigen fünf Jahre in vierstimmigen Diktaten praktizieren könnte- wenn schon durch so viel Zeit solche wohlgesinnten Umstände gegeben waren.
Zu der Zeit als ich Musikunterricht in der Musikschule bekam, fingen mein Bruder und seine Generation an, sich für Rockmusik zu begeistern, welche ins Land Eingang fand über Schallplatten, welche im Ausland gekauft wurden. Wenn jemand auf dem Schwarzmarkt zum Beispiel The Beatles gekauft hatte, so strömten daraufhin in seine Wohnung unverzüglich Menschen mit ihren Tonbandgeräten (gute Schallplattenspieler waren eine Seltenheit ebenso wie Schallplatten selbst), um die Musik der Schallplatte auf Band aufzunehmen. Unsere Eltern schenkten meinem Bruder ein Tonbandgerät und direkt an ihn anknüpfend war ich sogleich fasziniert von Brit Pop. Die Harmonien von The Beatles, Pink Floyd, Queen, Rolling Stones, Moody Blues schienen so ungewöhnlich, dass man sofort etwas in der Art komponieren wollte. Nach und nach kam ich dahinter, dass im Brit Pop der Gebrauch von Quinten Beziehungen und besonders eine Dominante in Reinform nicht gewünscht sind: also muss man alles genau umgekehrt zur klassischen Musik machen, Parallelismen, Terzfälle, parallele Akkorde und Gegenklänge, welche nicht in die natürliche Tonleichter passen, gebrauchend, sodass eine erfrischende Neuartigkeit entsteht. Ganz besonders wurde die doppelte Subdominante geschätzt, doch die Akkorde und Akkordfolgen konnten sich in beliebige Richtungen und Abstände bewegen. Ich sammelte wohlklingende Akkorde ohne ein jegliches System zu haben und baute sie in unterschiedlichen Reihenfolgen aneinander, auf diesem Weg Lieder komponierend – das könnte eine gute Praxis sein, da ich nach der Methode des Rockmusik-Komponierens alle möglichen Kombinationen von Akkorden verinnerlicht habe.
Doch dies hatte Ähnlichkeit mit der Herangehensweise aus der Musikschule: es fraß sehr viel Zeit. Irgendwann wurde auch dieser Impuls zur Erforschung von Harmonie unmerklich für mich zu einer Bremse für eine weiterführende Entwicklung. Vor allem weil zum zehnten Jahr der Grundschule ich schon in zwei schulischen Ensembles meine Liedchen auf Gitarre, Bassgitarre und elektrischer Orgel spielte. Es war kein Problem, ein paar zu schreiben, doch das Image einer echten Rockband lenkte von der Suche nach weiterem, das hinter dem Auskennen in und Erproben von elektronischen Instrumenten und der technischen Möglichkeiten von Klangverstärkung lag, ab. Nun kann ich Akkorde und ihre Folgen charakteristisch für Brit Pop, Soul, Rhythm ‘n‘ Blues schematisch auf vier Unterrichtsstunden aufteilen damit ein Schüler sie später beim Schreiben von Liedern einfach eigenständig verwenden kann: stellen Sie sich vor, wieviel Zeit ich darauf verschwendet habe, nach Gehör meine Lieblings-Rockgruppen nachzuspielen und sie in eigenen Liedern nachzuahmen.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass, wenn wir im Unterricht zur Gehörbildung den vierstimmigen Satz trainiert hätten, es mir auch hier viele Jahre erspart hätte. Doch nichts eignet sich so nachhaltig an wie die eigene Erfahrung, die eigene Initiative und die eigene Praxis. Stimulus dafür war zu der Zeit für mich die musikalische Mode und die Anziehungskraft, das Freiheitsgefühl und die Direktheit der Rockmusik. Aber ich bin  froh, dass ich über die Rockmusik in den darauf folgenden Jahren hinausgewachsen bin: ich weiß, dass Rockmusik an sich qualitativ neue Ebenen harmonischen Entdeckens nicht anbietet – diese muss man selbst suchen. Viele meiner Freunde sind bei dieser Ebene geblieben, von welcher aus eher  nur die äußere, oberflächliche Schönheit der Harmonie  sichtbar ist und manchmal hören diese Leute gerne klassische- und Barockmusik, wenn diese denn einer Rockballade ähnelt. Rockmusik als Entwicklungsstufe macht freier in Komposition, jedoch vereinfacht auch die Auffassung von Harmonie und kann zu einer Bremse für weiteres „Suchen" werden, da Stimmsatz nicht verwendet wird. So war es jedenfalls bei mir. Eine gewisse Zeit nahm ich sogar schwierigere Kadenzen als die der Rockmusik nur oberflächlich wahr. Manchmal hilft die Herangehensweise des Rock ein gewisses Material praktisch zu ergründen – zum Beispiel in unterschiedlichen Tonarten durch Verschiebung von Akkorden nicht dem Stimmsatz folgen, sondern nach Abständen zwischen Noten des Akkords optisch und auditiv nahezu auf gut Glück den Akkord verschieben. Doch später wird es trotzdem notwendig  alle Stimmen der Kadenz sehen zu lernen und zu kontrollieren; ohne dies wird man die Polyphonie nicht tiefgehend erfühlen.
In meinem schulischen Rockband-Ensemble bin ich das erste Mal an die Wirkung der Werbung in sozialistischer Gesellschaft geraten, die schockierend sein kann:   wir haben ein einziges Plakat, das von einem professionellen Künstler zusammengestellt wurde, für unser Konzert an einer Haltestelle angebracht. Ich war erschüttert, dass später bei dem Konzert  in den Schulsaal nicht alle hineingepasst hatten, die hinein wollten und selbst der Schulhof bis ans Äußerste von Menschen gefüllt war – sie hörten der Musik durch die offenen Fenster des Saals zu.
Zum Glück beendete ich  dieses  Hobby, als ich den verpflichtenden Militärdienst antrat - und wer weiß, wie sich alles gefügt hätte, wenn nicht diese nötige Pause und Distanz gewesen wäre: zu jener Zeit nämlich, also während meiner Rockband-Periode,  vernachlässigte ich komplett die Schule und ignorierte vollkommen die letzten zwei Schuljahre, Klausuren und Zeugnisse mitinbegriffen, mich allein mit Musik und Literatur beschäftigend.
Ich würde nicht gerne von der harmonischen Stumpfheit der Rockmusik reden wollen: die Strömung selbst legt keine bestimmten Grenzen fest, sondern hängt konkret von den Interpreten ab. Die zufällige Auswahl von Akkorden zueinander kann selbst nach Gehör, intuitiv die klassischen Quintbeziehungen meidend, die Stilistik des Genres ästhetisch bestimmen. Doch diese Ästhetik könnte man auch mit klassischen Mitteln erzeugen, zum Beispiel mit Hilfe von Terzfällen oder dem Gebrauch von Gegenklängen, die nicht zur Tonalität des geschriebenen Stückes passen. Alles ist möglich, wenn man es denn braucht. Rock ist sich selbst genug als eine jugendliche Alternative zu den Gesetzen der Weltbeschaffenheit. Doch sogar als hypothetische Richtung einsteigender Musiker ändert die Rockmusik doch auch ihre Formen und hat schon heute manchmal Prinzipien der Stimmführung in sich, die teilweise mit der klassischen Stimmführung sehr verwandt sind. Manchmal grenzen sie sich aber auch absichtlich von der Vergleichbarkeit ab und insgesamt lässt sich nicht sagen, dass Rockmusik in sich keine neuen Tendenzen legitimieren würde. Zwar vielleicht langsamer als sonst, doch auch was den Weg der Rockmusik betrifft, so liegt dessen Anfang noch nicht so weit zurück und abgeschlossen wurde er auch noch nicht.
Doch mit dieser Erfahrung war es nun vorbei und ich fiel für zwei Jahre aus dem musikalischen Leben heraus. Ich konnte keine Vertagung meines Militärdienstes erzielen, und ohne Attest der mittleren Schulreife bin ich nicht ins Musik–College gekommen, so waren die Regelungen. Das übrige Jahr vor dem Militärdienst spielte ich zwar in einer Rockgruppe, doch das Wichtigste für mich war, dass ich in einer Musikschule angenommen wurde, die zum Konservatorium gehörte. Ohne irgendwelche Perspektiven anzustreben sondern einfach so, um noch etwas Musik zu machen. Gerade dort habe ich den vierstimmigen Satz erst richtig kennengelernt und zum ersten Mal diesen bezaubernden und irreführenden gregorianischen Choral gehört, der bei aller „Richtigkeit" der Stimmen, hinter denen das Vertikale unsichtbar bleibt, sich plötzlich in eine neue Tonart auflöst. Ein interessanter Eindruck: ich habe damals gesehen, das das Vertikale, die Harmonie sich nur dann hören lassen wenn sie eine Dissonanz im Akkord bilden oder wenn die harmonische Funktion sich entweder mit größerer Spannung verändert oder aber unerwartet. Ich weiß nicht wie sehr man das als Gesetz auffassen dürfte, doch so erkläre ich nun die Notwendigkeit der scharfen Dissonanz in der Jazzharmonie – zum Beispiel die Anwesenheit einer kleinen Sekunde im Akkord. Wenn der Akkord mehr als nur eine kleine Sekunde beinhaltet dann klingt er übermäßig polytonal und verwischt eher die Farbe des Akkordes zu zwei oder mehr Harmonien anstatt sie zu untermalen und eben damit die Jazzgattung zu Polytonalität drängend – zum Nachteil eines möglichen impressionistischen Ursprungs einiger Jazzgattungen. Doch das Allgemeinprinzip der Polyphonie, wenn nicht Akkorde eine Mehrstimmigkeit erzeugen, sondern die Mehrstimmigkeit Akkorde erzeugen kann, fiel mir erst dort ins Auge, in der Schule am Konservatorium. Mag sein, dass es etwas spät war, doch etwas Praxis in dieser Richtung gab mir während der zwei Jahre Militärdienst die Möglichkeit  zu reflektieren, was ich über die Musik erfahren möchte und nachdem die Militärzeit abgeschlossen war, entschied ich mich dafür, am Musik-College den Jazzzweig zu nehmen: dafür beendete ich extern eine Abendschule und bereitete mich verstärkt am Klavier vor, parallel irgendwo in einer Fabrik arbeitend – in den Jahren hatte ich einen Unmengen physischer Kräfte und ich erinnere mich nicht, ob ich von alldem denn überhaupt eine Überanstrengung verspürte.
Was hat man sich unter einer Jazzabteilung im Musik-College vorzustellen? Es ist Unterricht nach Disziplinen (Instrumenten), in den das Erlernen klassischer Musik und Jazzmusik fällt sowie Improvisations- und Phrasierungsunterricht. Es ist auch das Spielen in einem Jazz-Quartett oder –Trio, Dirigieren eines Jazz-Orchesters, Jazz-Geschichte, klassische und Jazz-Harmonie, die Geschichte klassischer Musik, Folkloremusik, die Analyse musikalischer Formen, Musikliteratur und das Spiel auf weiteren Instrumenten. (Ich entschied mich für Schlagzeug, Bassgitarre und Gitarre zusätzlich zu meinem primären Instrument, dem Klavier. Besonders gut führt einen der Kontrabass an den Rhythmus heran – nach ihm ist es ein reinstes Vergnügen auf dem Klavier zu spielen.)
Die Jazzfakultät war damals verhältnismäßig neu und die Jazzlehrer waren zwar erfahrene Musiker, doch nicht alle verfügten über eine klar formulierte Methodik zum für den Jazz-Unterricht. Das Kennenlernen von Jazz-Harmonien, -Formen und – Rhythmen geschah eher autodidaktisch während des gemeinsamen Jazztrio-Spiels zu einer Zeit, als zwei Drittel des Jazzpiano-Unterrichts mit Pianotechnik belegt wurden. Eine große Unbequemlichkeit stellten die obligatorischen Besuche von marxistisch-leninistischen Philosophiestunden und Sportunterricht dar. Diese handelten von reinster Ideologie – niemand der Jazzmusiker nahm sie jemals für voll. Vor dem Abschluss des Colleges führte mich dies zu einem Konflikt mit einem fanatischen Dogmatiker des Leninismus, meinem Philosophielehrer. Mir fiel es psychologisch schwer, die Prinzipien des Staates zu erlernen, welcher meinen Großvater erschießen ließ und hinter einem eisernen Vorhang den Zugang zu weltlicher Kunst verschloss. Deshalb verließ ich ohne Bedauern zum Ende des letzten vierten Schuljahres hin das College um später meinem Gewissen nichts schuldig zu sein.
… Wenn ein angehender Musiker sich das Ziel gibt, mit Jazz anzufangen, dann kommt ihm nicht in den Kopf, direkt zum tiefen Verständnis der Musik überzugehen – er hört sich Platten von Meistern des Jazz an, doch nicht aus welchen Noten der Musiker auf der Platte seine Phrasen baut, welche Akkorde er verwendet, ob er seine Komposition wohl plant oder sie wohl spontan von sich geht. So ein feines Verständnis von Jazz scheint einem Anfänger so unerreichbar weit liegend, dass er das Erlernen schwieriger Jazzmusik zur Seite legt und sich in die Momente seiner Jazz-Darstellung vertieft, die ihm erreichbar scheinen. Wieso auch nicht? Man kann mit Einfachem anfangen und in den Genuss eigenständig gefällter Entscheidungen kommen, so zu dem Schluss kommend, dass jeder Jazz spielen kann. Außerdem kann und sollte man Musik vom ersten Moment aus selbst schaffen, ohne sich nach Jazz-Autoritäten umzusehen. Das wäre gar nicht mal eine so schlechte Erfahrung. Doch früher oder später entsteht die Frage, wie originell das eigene Spiel denn eigentlich ist, ob es andere denn überhaupt interessiert und letzten Endes fängt der Musiker an zu verstehen, dass es nicht ausreicht, einfach nur Jazz zu spielen – man muss sein eigenes Gesicht, die eigene Musik und seinen eigenen Stil finden. Ich denke dass das eigene Gesicht, die eigene Darstellungs-Manier jedem Musiker von vornherein innewohnt  - jedoch getarnt ist mit der Erfahrung, die man von berühmten Musikern übernimmt. Dies ist schon die zweite Etappe der Entwicklung: man muss wenigstens annähernd in unterschiedlichen Stilen spielen, nach Art von Bill Evans, Thelonious Monk, Herbie Nichols, Lennie Tristano, Chick Corea, Herbie Hancock, Art Tatum oder Errol Garner. Zitieren und imitieren ist sehr wichtig: sie ergeben den Teil der Darstellung, der zeigt welche Richtung des Jazz der Musiker gebraucht und ausarbeitet. Doch sobald der Jazzman schon die Art unterschiedlicher Stile des Jazz anzuwenden im Stande ist, indem er die Feinheiten konkreter Meister zitiert, dann befindet er sich schon auf so einem Level, dass er selbst entscheidet wie stark er sich der Imitation hingibt: die Momente, in denen er der Imitation entsagt, sind eben die, in denen sein eigenes Gesicht zutage tritt.
Eigentlich nimmt die Eigenart jedes konkreten Meisters nicht so viel Platz in seinem Spiel ein. Alles Übrige ist eben die Tradition, auf welcher der Musiker aufbaut. Überhaupt kann Innovation manchmal sogar nur einige wenige Prozente von der Gesamtheit der Phrasen und Harmonien in einem Stück einnehmen, aber dennoch gut hörbar sein und zwar eben darum, weil sie vor dem Hintergrund traditionellen Materials erklingt.
Ich erinnere mich daran, dass es für mich am Anfang an schwierig war, einfach nur dem Rhythmus komplizierter  Jazz-Improvisation zu folgen und ich übte mit dem Fuß den Rhythmus zu schlagen, wenn ich Jazz Standards zuhörte. Noch schwieriger war es, sich dazu zu bringen, nicht nur der gesamten Schönheit eines Jazz Stücks zuzuhören sondern auch bewusst die Phrasen eines solierenden Instruments  zu hören und ihnen zu folgen: dies wäre das allerwichtigste gewesen – die Einzigartigkeit des Stils einer Jazz Darstellung liegt vor allem in der Phrasierung.
Man sollte nicht einfach nur Noten spielen, ohne Phrasen, z.B. nur der Triolen-Struktur des Swing folgend. Man muss in Phrasen und dessen Akzentuierung denken und eine Passage in so viele Teile wie möglich aufteilen: zum Beispiel können die zwölf Noten einer Phrase aus drei Figuren à vier Noten bestehen und jede dieser Figuren auch aus zwei Paar Noten. Indem man eine einzelne Note in so einem Paar akzentuiert, können wir einen Upbeat oder Downbeat hervorheben; wir können mit einem Upbeat oder Downbeat anfangen oder aufhören; wir können die gesamte Phrase mit der gleichen Betonung von nur Upbeats oder nur Downbeats verknüpfen oder völlig unerwartet die Akzentuierung zum Gegenteil wechseln und so weiter und so fort. Wenn man sich selbst mit Phrasierungen beschäftigt, dann hört man diese auch leichter bei anderen. Ich will damit sagen, dass früher oder später ein beginnender Musiker unausweichlich dahin gelangt, dass er die ihm bisher schwierigsten und unverständlichsten Akkorde, Phrasen und Synkopen, die er bei anderen Meistern hört, verstehen muss. Und das ist gar nicht so schwer: im Falle eines bewussten Wunsches kann man eine komplizierte rhythmische Verschiebung, die ein oder zwei Takte dauert, innerhalb von zwei Minuten bewältigen. Man muss diese rhythmische Verschiebung nur erkennen mit dem Ohr und keine Angst davor haben, sie zu wiederholen und zu erlernen. Jede folgende rhythmische Problemstellung wird einem dann immer leichter  von der Hand gehen. Und nach und nach werden die Probleme, für dessen Lösung man Ewigkeiten angenommen hatte, verständlich und innerhalb viel kürzerer Zeit erklimmbar. Das bedeutet also: selbst spielen und anderen zuhören sind zwei der Hauptaufgaben eines angehenden Jazzman. Auf der ersten Etappe sind das zwei getrennte Übungen, welche sich im Folgenden aber  vermengen, bis du in deiner Darstellung die Merkmale anderer Darstellungen erkennst und verstehst, worin deine eigene Idee im Rahmen vorangegangener Traditionen liegt.
So war es bei mir, auch wenn es wohl eine unbegründet lange Zeit dauern musste: ich war so sehr mit eigenen Jazz-Kompositionen beschäftigt, dass ich das Erlernen des Wissens der Jazz Meister ignorierte. Dies endete für mich lehrhaft: eines Tages kam ich zu einem in Novosibirsk bekannten Komponisten, um meine Werke zu zeigen, welche harmonisch Keith Emerson nachgeahmt waren, der damals „ in" war und dieser sprach zu mir nur gelangweilt: „Solche Musik gibt’s wie Muscheln am Meer." Ich war zutiefst betroffen. Einerseits stimmte das doch andererseits hatte ich ja auch zeigen wollen, auf was für einem Level ich mich befand. Doch diese Worte stimulierten meine weitergehende Suche und  begründeten eine nicht unbedeutende Rolle in meinem Leben auch wenn ich diesem Komponisten keine große Sympathie mehr entgegenbringen konnte – ich war jung und schnell beleidigt.  Als er eines Tages später zu mir ins Studio kam, um eine seiner Kompositionen aufzunehmen (ich erfüllte dies natürlich untertänigst), befand ich, der bis dahin schon an kompositorische Erfahrung gelangt war, mit Genugtuung, dass es von solcher Musik, wie er sie mir vorlegte, ebenso bereits Unmengen gab. Das sind natürlich alles Späßchen, doch an seiner Stelle hätte ich  damals einem angehenden Komponisten, der erfrischende Jazz-Harmonien sucht, folgenden Rat gegeben: „Hört für den Anfang vielleicht Messiaen.". Dies wäre ein guter praktischer Rat für einen Studenten - doch niemand hatte ihn mir damals gegeben und ich fand ihn selbst,  sobald ich versuchte mich von einfachen Jazz-Harmonien zu entfernen. Eigentlich hat diese Art, abstrakte mystische Ratschläge zu geben, wie sie ein antikes griechisches Orakel geben könnte, seinen Sinn: sie sind aphoristisch und bleiben für lange Zeit im Gedächtnis. Einmal, als ich noch im ersten Semester war, sagte mir mein Professor: „Gebrauche niemals den Moll-6 Akkord: rechne damit, das sobald du ihn gespielt hast, du dich sofort blamiert hast." Klar habe ich ihn intuitiv verstanden, verspürte aber auch gleichzeitig eine innere Widerspenstigkeit zum ästhetischen Verbot eines Akkordes, der so eine schöne melodische Moll-Tonleiter ausdrückt. Ich fand schnell heraus, dass der Ausdruck dieser Tonleiter  mithilfe eines Moll-6 Akkords in seiner Grundlage zu banal und erkennbar ist und fand schnell kompliziertere Ersatzmöglichkeiten für ihn. Und so ging ich im Folgenden mit allen Akkorden vor. Eben dies hat mich zu der allbekannten Tatsache geführt, dass ein Akkord die Tonleiter, die ihm innewohnt, mithilfe von maximal schwierigen Stufen darstellen soll, die unter sich interessante Dissonanzen erzeugen.
Doch wieso ist meinem Jazz-Lehrer nicht in den Sinn gekommen, diesen seinen aphoristischen Ausdruck mit konkreten Beispielen dazu zu verdeutlichen, wie man die sechste Stufe eines Moll-Akkords verwenden kann ohne dabei den Akkord gemein und pop-haft werden zu lassen? Ich selbst halte mich an das Konkrete im Jazzunterricht, indem ich die Ästhetik einer Anwendung dieses oder jenen Akkordes erkläre. Als Folge half diese spaßige Praxis der Dechiffrierung jener poetischen Ratschläge in der musikalischen Sphäre mir, mit literarischen Umschreibungen in der Musik mit Ironie umzugehen: als ich als Arrangeur arbeitete, brachte ein Komponist mir sein Werk und sagte, dass darin die Gerüche des Schießpulvers und französischen Parfüms spürbar sein sollen. Kein Problem: „Schießpulver" stellte ich mithilfe von Marsch-Rhythmen auf Snare Drums dar und das „Parfum" mithilfe eines französischen Knopfakkordeons. Spaß beiseite. Die Ästhetik und Stilistik von Jazz-Richtungen kann man vollkommen mit harmonischer Konkretheit und akustischen Gesetzten ausdrücken – das ist es, was ich damit sagen wollte.
…Jedenfalls; anstatt marxistisch-leninistische Philosophie zu pauken, habe ich, nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war und Perestroika begann – das war die glücklichste Zeit in meinem Leben: eine Welle an Informationen, beste Politologen, Ökonomen, Publizisten und Künstler fingen an durch die Presse zugänglich zu werden -, habe ich angefangen Abonnements zu praktisch fast allen damaligen bedeutenden Zeitschriften und wöchentliche Zeitungen zu bestellen. Ich habe im Detail die grundlegenden Richtungen bisher verbotener russischer und ausländischer Literatur kennengelernt; fing an, tiefer soziologische, wirtschaftliche, politologische Fragen zu verstehen und die Aufgaben und Ziele moderner Kunst. Damals gab es noch kein Internet doch auf Wunsch war es trotzdem sehr gut möglich jeder Frage, die man hatte, nachzugehen – es gab keine kulturellen Barrieren mehr. Im Musik-College haben wir nicht ausschließlich nur Jazz gespielt sondern auch Fusion, Soul, Rhythm ‘n‘ Blues und übten uns in eigenen Kompositionen.
Aus dem College ist mir eine Diskussion mit meiner Lehrerin für Harmonie im Gedächtnis geblieben: sie meinte im Neapolitaner (-Sextakkord) eine Subdominante mit übermäßiger fünfter Stufe zu hören und ich eine Dominante, ausgedrückt durch Tritonus-Substitution. Ich war erstaunt, dass mein Gehör so dermaßen an Substitut-Akkorde gewöhnt war, dass er mir sogar in einem Dreiklang einer zweiten verminderten Stufe vorzukommen schien ohne ihn zu einem Septakkord zu erweitern, dessen Tritonus auch zu einer natürlichen Dominante passend ist. Dann habe ich zum ersten Mal verstanden, dass das Zentrum der ganzen Ästhetik der Jazz-Harmonie, wo der grundlegende Aufbau und die zentralen Entdeckungen schwieriger Harmonien liegen, der Tritonus ist und zwei zu ihm gehörende Dominantseptakkorde. Eigentlich kann man alle Dominantseptakkorde durch eine gar nicht so große Anzahl an Varianten ausdrücken und so klassifizieren:
und zwar die Tritonus enthaltenden – mit je zwei addierten Quarten von Oben, die eine Sekunde in der Mitte enthalten und je zwei mit hinzugefügter großer Terz;
und die in sich einen verminderten Septakkord enthaltenden – davon vier mit einer oberen Terz, die zur Quarte vergrößert wird und vier mit einer oberen Terz, die zu einer großen Terz ausgeweitet wird.
Die Akkorde, die einen Tritonus enthalten, können aus mixolydischen Tonleitern oder aus einer Dur7/+4-Tonleiter bestehen. Im zweiten Fall wird die Tonleiter zu einer universellen für beide Substitut-Akkorde, indem sie sich durch eine Umkehrung in eine alterierte Tonleiter verwandelt. Im Falle der Akkorde, die einen verminderten Septakkord oder verminderten Dreiklang beinhalten, können diese aus einer symmetrischen Ton-Halbton-Tonleiter entstehen, auch als oktatonische Tonleiter zu benennen. Die Klassifikation fand Eingang in die Grundlagen meiner Methodik und kann anhand von Jazz-Standards in ein bis vier Jahren leicht erschlossen werden, je nachdem wieviel Zeit ein Schüler für die praktische Auseinandersetzung mit dem Material aufwenden kann oder aufzuwenden bereit ist. Mit dem Lauf der Zeit und der Praxis im Unterrichten habe ich eine Methode gefunden für eine weiterführende Ausbildung bereits erfahrener Musiker, welche nicht nur auf unterschiedlichen Modifikationen mixolydischer, alterierter und symmetrischer Tonleitern, die Ganzton-Tonleiter miteingeschlossen, begründet ist, sondern auch auf der vermischten Anwendung von zwei oder mehr solcher Tonleitern. Die Elemente des Vermischens von zwei Tonleitern kann und sollte  dem Schüler in der ersten Phase schon gezeigt werden, wie zum Beispiel die Zusammensetzung einer Pentatonik und einer mixolydischen Tonleiter im Blues, Jazz und Bebop. Das Zusammensetzen zweier reiner mixlydischen Tonleitern, die beide zu zwei entsprechenden Substitut-Akkorden gehören, erzeugt z.B. die Melodik der Werke von Charles Mingus; das gleichzeitige Ausführen zweier Oktatoniken oder dreier verminderter Septakkorde als deren Ausdruck, erzeugt wiederum eine Bitonalität, Polytonalität und Atonalität, die in unterschiedlichen Proportionen im modernen Jazz verwendet werden, wobei man ihn entweder verschärft oder weiter zum Avantgarde-Jazz bringt. Auf diese Art und Weise kann man jeden beliebigen zufälligen atonalen Zusammenklang in jedem Moment in Tonalität auflösen indem man zum Beispiel drei Oktatoniken vereint benutzt, von denen jede sich als Tonleiter oder Akkord in vier Tonalitäten auflösen lässt und in ihrer Gesamtheit zu einer Auflösung führt, die an jeder der existierenden 12 Töne stattfinden kann. Natürlich ist es kein Muss und manchmal dafür aber sogar eine Unmöglichkeit, auf einmal zwei oder drei Tonleitern zu spielen. Ich meinte damit auch ihre immanente Anreicherung: und wenn ich diese höre und nicht weniger die Cluster dieser gleichzeitigen Tonleitern sehe, so mache ich von der Poly- oder A-Tonalität bewusst und kontrollierend Gebrauch.
Die klassifizierten Akkorde, die in sich einen Tritonus oder einen verminderten Septakkord beinhalten, sind leicht zu klassifizieren bei einer Zweihandaufteilung für mehrstimmige Akkorde mithilfe sogenannter „Pseudo-Akkorde":  die linke Hand spielt die grundlegenden Töne des Akkords  (z.B. Tritonus) und die rechte Hand die wichtigsten Noten der dem Akkord zugehörenden Tonleiter, welche sie in so einer Reihenfolge platziert, dass  die Noten visuell wie Dreiklänge oder Septakkorde aussehen ohne aber dass sie ihrem harmonischen Namen her zur Tonalität des Grundakkords gehören. Noch etwas Wichtiges zur Erstellung von Akkorden ist hinzuzufügen: man kann Septakkorde bilden in weiter Lage nur drei Stimmen einsetzend: die erste, die dritte und die siebte Stufe des Akkordes. Im Kern jedenfalls bestehen das Ziel und die Ästhetik daraus, dass man einerseits garantiert die Töne meidet, die immanent sowieso hörbar sind und andererseits in die Mitte des Akkordes entweder eine Sekunde hinzufügt, um einen gewissen Impressionismus in der Musik zu erreichen oder umgekehrt: die minimale Anzahl an Noten eines schwierigen Akkordes spielt und ihn somit dazu bringt, sich abstrakter und transparenter anzuhören, die Dissonanz der Sekunde gegen die Dissonanz der Septime eintauschend.
Der zweite Teil dieser Methodik für den Jazzunterricht besteht aus der Aneinanderreihung einiger Akkorde, die dann oft zu einem Klischee wird, das bestmöglich eine ökonomisch-fließende Stimmführung wahrt. Diese Stimmführung unterscheidet sich von der Stimmführung aus der klassischen Musik durch die Anwesenheit  von Parallelismen und chromatischen Parallelismen.
Zwei grundlegende Jazz-Kadenzen, die fast in allen Jazz-Standards erklingen, sind einmal die Akkordreihenfolge II-V-I und die Jazzschlusskadenz, der sogenannte Turnaround: I-VI-II-V-I.
Die beiden Kadenzen kann man verwenden als Reihenfolge klischierter Akkorde, die eine klischierte Akkordreihenfolge in fast allen Jazz-Standards erzeugen -  in Dur als auch in Moll. Diese Kadenzen klingen leicht erkennbar, standarthaft und leicht auffindbar, was einem erlaubt sie auf Anhieb in unterschiedlichen Stücken und Tonalitäten anzuwenden.
Eigentlich war dies alles in meinem Kopf zum Ende des vierten College-Jahres, doch ich kam nicht darauf, diese auf den ersten Blick unterschiedlichen Akkorde und Tonleitern in diesem Schema aufzufassen, mithilfe dessen sich diese zu gar nicht mal so vielen reduzieren, was einem wiederum erlaubt, sie einem Schüler innerhalb kürzester Zeit darzubringen. Denn wenn es um Zeit geht, so hat man viel mehr von ihr, wenn man sie in Praxis investiert und nicht in die Theorie, welche vielmehr ein Kompass sein sollte.
In der College-Zeit fing ich nach und nach an, College- und Konservatorium-Studenten Jazz beizubringen: dies war die Zeit der Perestroika und kreativer Experimente und viele Studenten klassischer Abteilungen, die theoretisch gut vorbereitet waren, nahmen meine Stunden mit Leichtigkeit auf. Die Fragen der Stunden waren zwar schwer und interessant, doch behandelten recht systemlos und arbiträr die Jazz-Harmonie und waren nicht durch ein Ziel vereint.
Nach dem College habe ich meine eigene Firma gegründet, ein Tonstudio, in dem ich Musikgruppen, Orchester und Chöre aufnahm, meine eigene Musik schrieb und arrangierte und die Musik anderer Komponisten auch. Dabei habe ich musikalisches Equipment, Synthesizer und musikalische Computerprogramme angewandt, die mir erlaubten, Musik auf elektronischem Wege zu schreiben. Auf diese Art und Weise habe ich viele Radio- und TV-Sendungen vertont – manchmal galt es irgendeinen Jingle innerhalb einer Stunde zu schreiben und zu arrangieren. In meinem Leben habe ich zwei solche Tonstudios aufgebaut: eines auf der Basis eines Dokumentarfilm-Studios und das andere auf der Basis einer Radiokampagne, eng mit beiden zusammenarbeitend. Ich vertonte dementsprechend außerdem auch Kino- und Radioproduktionen. Parallel dazu, Gebrauch machend von meiner Apparatur, gründete ich Bluesrock- und Jazz-Clubs, wo ich mit meinen Freunden für ein Auditorium mit gutem Geschmack gespielt habe. Dies war bequemer als auf Plätzen zu spielen, die vom College bereitgestellt wurden oder sich mit dem Jazz-Quartett durch Städte Russlands auf Tournee zu begeben, wie wir es zur College-Zeit getan hatten. Das Aufnehmen von Musik war eine Welt der besten Tonaufnahmegeräte und moderner Musikinstrumente, in die es interessant war, mehrere Jahre lang einzutauchen. Doch mit den Jahren fiel mir auf, dass ich selbst immer weniger spielte und mich immer mehr in die Tonaufnahmen und Komposition von Filmmusik vertiefe. In diesen Jahren habe ich auch Jazz-Harmonie unterrichtet und notwendige Erfahrung erlangt und träumte davon, mich komplett für Jazz freizumachen. Ich weiß nicht, was sonst daraus geworden wäre, doch eine Gegebenheit beschleunigte dies auf jeden Fall: ich bekam die zufällige Chance nach Deutschland auszureisen. Dies war der Traum meiner Kindheit, seitdem ich anfänglich Bach, Beethoven und Mozart gehört und gespielt habe. Ich ließ alles stehen und liegen, was ich hatte, oder schenkte es vielmehr einem Freund – die Zeit zum Verkauf hatte ich sowieso nicht, und ich wollte mich auch nicht damit beschäftigen – und zog im Jahre 1999 nach Köln.
Köln spielte eine entscheidende Rolle in meinem Leben – hier lernte ich wunderbare Musiker kennen und vertiefte mich in den alltäglichen Austausch musikalischer Erfahrung, und dies in einer Stadt, wo die musikalische Kultur sehr hoch entwickelt ist. Mich erstaunte, dass ich bisher in Novosibirsk mich mit meinen musikalischen Ideen alleine gefühlt hatte und immer wenn ich von ihnen erzählte bemerken musste, dass sie allzu abstrakt und theoretisch aufgefasst wurden, ohne sie für eine praktische Umsetzung in Erwägung zu ziehen. Hier in Köln ist alles anders: wenn ich mir morgens irgendeine harmonische Auflösung ausgedacht habe, so kann ich schon tagsüber davon in einer Unterrichtsstunde erzählen und zum Abend wird diese Idee schon praktisch angewandt werden wie ein etabliertes Lick, Trick oder Pattern in der Pianojazz-Darstellung. Ich selbst habe auch buchstäblich innerhalb von ein paar Jahren eine Umwälzung meines Jazz-Weltbildes durchlaufen, indem ich intensiv Jazz-, Folklore- und klassische Konzerte besucht habe. Eine interessante Beobachtung, die mir in den Kopf gekommen ist: in der modernen Welt ist es oft so, dass der Musikgeschmack der Eltern ihre Musiksammlungen formiert und von diesen lernen wir und erlangen unsere erste musikalische Erfahrung, weswegen der Jazz als ästhetisch komplexe Tanzmusik hier praktisch jedem im Ohr liegt und das Level an Vorbereitung der Schüler hier unermesslich fortgeschrittener ist als das meiner Schüler dort zur selben Zeit. Ich erfuhr sogar vieles Neues in Köln von Menschen, die nicht einmal Musiker waren. So bekam ich zum Beispiel Material indischer, koreanischer oder japanischer Musik von riesigem Ausmaß von solchen Freunden, die nur über eine anfängliche musikalische Ausbildung verfügten, doch die Tendenzen, Richtungen und Trends moderner Musik verstanden sie trotzdem ohne ausgeprägtes fortgeschrittenes Wissen.
Natürlich ist das Level anfänglichen Vorwissens meiner Schüler hier stärker als das meiner Schüler in der Stadt, in der ich geboren wurde, und dies forderte von mir eine genaue und klare Methodik für den Jazzpiano-Unterricht. Als ich selbst lernte Jazz zu spielen, tauchten in mir selbst einfache und naive Fragen auf, so wie sie in jedem Schüler auftauchen: wie bildet man Jazzakkorde, wie akzentuiert man eine melodische Linie, was ist überhaupt Jazz-Improvisation, Jazz-Phrasierung und Polyrhythmik? Antworten zu diesen Fragen habe ich nie in so einer geballten und kompakten Form bekommen, in der sie vom Schüler gestellt werden. Ich dachte mir also, dass diese Fragen eines angehenden Jazzpianisten eine vortreffliche Basis für eine Methodik sind: ich antworte einfach von Anfang an auf diese Fragen und fange mit ihnen meinen Jazz-Unterricht in Köln an. Dies ist eben jener Kern des Konzepts von dem ich gesprochen habe:
Was ist Jazz?
Was ist Jazz-Harmonie?
Was ist Jazz-Improvisation, -Akzentuierung und –Phrasierung?
Was sind Jazz-Rhythmen und Polyrhythmik?
Einst musste ich  selbst Antworten auf diese Fragen suchen und jetzt weiß ich, was ein Schüler als allererstes wissen will. Was er zuoberst gerne wissen wollen würde, ist nun mal eben der Kern des Jazz, von dem aus wir uns fortbewegen und unser Detailwissen in alle Richtungen ausstreuen und ausweiten.
Es gibt noch eine Idee, die ich bei meinem Pianojazz in Köln akzentuiere. Ich gehe davon aus, dass in einem Jazz-Trio ein Musiker sich dank der Unterstützung eines Kontrabasses und Schlagzeugs besser realisieren kann. Doch nicht alle Schüler haben die Möglichkeit, ihr Spiel mit einem Jazz-Trio zu organisieren – den meisten mangelt es an Erfahrung, Selbstbewusstsein, Zeit oder einfach nur an Kontakten. Ich unterrichte so, dass Anfänger und Fortgeschrittene Jazz, Bebop und Stride Piano als Solodarstellung des Jazzpiano ohne die Unterstützung anderer Instrumente spielen könnten. Die Solo-Jazz-Piano Darstellung kann aus einer Basslinie oder einem Walking Bass in der linken Hand bestehen während die rechte Hand eine Akkordbegleitung oder Improvisation bereitstellt: eine lineare oder in Block-Akkorden. Die zweite Methode bestünde darin, mit der linken Hand Akkorde in ihrer engen Lage wie in einem Jazz-Trio zu spielen – in Patterns oder dadurch, dass Pausen in der Improvisation der rechten Hand gefüllt werden. Die dritte Methode besteht darin, mit der linken Hand Akkorde in weiter Lage zu spielen, indem man den Charakter des Stride Piano anwendet, bei dem der linken Hand die Rolle der vollkommenen Begleitung überlassen wird und die rechte Hand zur Führung der Melodie frei macht. Das Stride Piano Akkompagnement kann man fragmentarisch anwenden, so wie es auch Art Tatum macht oder auch Errol Garner auf seine funky-hafte Art. Als ideale Beispiele für Solo Jazz Piano im Bebop gebe ich die Technik, Phrasierung und Harmonisierung Lennie Tristanos und Bill Evans‘ an. An diesen zwei Beispielen kann man leicht die etwas trockene, intellektuelle Anwendung des Bebop im Cool-Jazz wie bei Lennie Tristano absehen -oder in der vielmehr lyrischen Umsetzung bei Bill Evans, die beide die Elemente des modalen Jazz einhalten.
Wenn man ein Akkompagnement bildet, das die Stride Piano-Technik miteinbezieht, dann ergibt sich auf großartige Art und Weise das Spiel eines Thelonious Monk, das es einem erlaubt, Stride Piano und Bebop in unterschiedlichen Proportionen zu vereinen, wodurch unterschiedliche rhythmische und stilistische Kombinationen erlangt werden. Vom Ragtime, Slow Fox, einer Jazz Ballade und Blues bis hin zu Bebop.
So kam es, dass unabhängig davon, ob ich in Köln Jazz Piano Anfängern oder Fortgeschrittenen anbiete, die Methodik gleich gut zu jedem Schüler passt, da sie auf unterschiedlichen technischen Schwierigkeitsgraden nach identischem Prinzip funktioniert. Die Erfolge der Schüler, die eigenständig ihre eigenen Ideen herausbilden, indem sie ihr Instrumentarium an Wissen und Erfahrung aus dem Unterricht anwenden, freuen mich und inspirieren wiederum auch meine eigenen Entdeckungen in der Jazzmusik.
In meinen Gedanken zur Methodik des Klavier-Jazzunterrichts komme ich manchmal zu einigen autobiographischen Episoden, um mir selbst klarzumachen, aus welchen ausgehenden Stellen  die Liebe zur Musik und die musikalische Initiative des Schülers oder Lehrers herrühren. Jeder hat seinen weg und seine Momente, von denen alles ausgeht,  und ich hebe nur die hervor, die grundlegend Einfluss auf die Entstehung einer musikalischen Persönlichkeit haben können. In meinem Fall spielte eine entscheidende Rolle die Tatsache, dass Musik für mich zum Mittel von Ausdrucksfreiheit der Gefühle und Gedanken wurde und ich eine Möglichkeit hatte, mich von negativer Erfahrung des Lebens im sozialistischen Staat abzustoßen. Dies korreliert in vielem mit der Idee des Jazz und Blues als Protest und Streben zur Freiheit. Dies heißt nicht, dass mein Jazz jetzt Protest zum Ausdruck bringt. Vielmehr umgekehrt: Jazz ist wie ein Heim in dem ich wohne und mein natürlicher Zustand zum Ausdrücken von Gedanken und Gefühlen.
Wir alle gebrauchen dieselben musikalischen, harmonischen und stilistischen Regeln doch die Musik, die wir erzeugen, ist unterschiedlich. Jeder drückt mit ihrer Hilfe seine eigene, nur seine eigene nicht nachahmbare Eigenart aus – dies ist der Punkt an dem der Lehrer die Erfahrung des Schülers im Suchen übernehmen kann und der Jazzunterricht im Idealfall zu jenem Austausch von Erfahrungen wird, der zum musikalischen Reifen führt.
Ich bin davon überzeugt, dass jeder Jazz spielen kann, dass dies schon naturbedingt in uns vorhanden ist und jeder nicht nachahmbar spielen kann – auch das ist eine natürliche Eigenschaft des Menschen.


Evgeny Tcherstviakov
Jazzunterricht in Köln



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